Uwe Lübbermann/CEO Premium

TF: Wie darf man Premium als Unternehmen verstehen? Ist Premium überhaupt ein Unternehmen im klassischen Sinn?

Premium ist eine kleine Getränkemarke ohne Büro. Das Projekt wird von einem Internet-Kollektiv nach dem Prinzip der Konsensdemokratie gesteuert. Wir lassen Cola, Bier und Kaffee produzieren und verkaufen an Kunden in 200 Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Unternehmen existiert mittlerweile seit über 12 Jahren. Eigene Ressourcen im Sinne von Produktionsmitteln haben wir praktisch nicht, dafür aber ein Netzwerk aus potenziell allen Beteiligten, das wir Kollektiv nennen.

Dahinter steht der Wunsch, die Wirtschaft besser zu machen. Das heißt, alle Entscheidungen, die das Unternehmen betreffen, werden mit allen Beteiligten im Konsens getroffen.

TF: Wer sind die Beteiligten an dem Unternehmen?

Beteiligt ist für uns jeder, der eine Funktion erfüllt: Lieferanten, Spediteure, Gastronomen, aber auch die Endkonsumenten, die unsere Getränke trinken.
Die Logik dahinter geht von einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit der Menschen aus, die für alle gelten sollte. Das fängt bei der Hautfarbe, dem Geschlecht, etc. an, gilt aber eben auch für die geschäftlichen Beteiligten. Es sollten alle Menschen den gleichen Wert und entsprechend auch die gleichen Rechte haben. Daraus ergibt sich, dass wir nur Personen, die überhaupt keinen Bezug zu uns haben, als nicht beteiligt betrachten. Man könnte auch sagen: fast niemand ist extern, alle Beteiligten sind wie Interne zu behandeln. Und: auch Kinder und Kindeskinder haben Rechte; denen müssen wir z.B. einen sauberen Planeten hinterlassen, also Wirtschaft ganz anders machen als es „normal“ ist.

TF: Bei Premium gibt es keine schriftlichen Verträge, nur mündliche Abmachungen – wie funktioniert das?

Wir haben von Anfang an keine schriftlichen Verträge mit AGB und Laufzeiten gemacht, weil dadurch eine Partei schnell zur Bestimmenden werden kann. Die andere Seite ist vielleicht nicht mehr zufrieden, kann aber vertraglich zu etwas gezwungen werden. Das wollen wir nicht.

Mittlerweile arbeiten wir mit 1650 gewerblichen Partnern ohne schriftliche Verträge. Dadurch haben diese Partner miteinander auch einen anderen Umgang, sie begegnen sich auf Augenhöhe. Z.B. kann normalerweise ein Großhändler einen Spediteur in einem Rahmenvertrag zwingen, Lieferungen zu bestimmten Terminen zu machen. Durch die fehlende vertragliche Grundlage muss aber bei Premium der Großhändler den Spediteur fragen, wann er liefern kann. Mit dieser Abstimmung wird die Grundhaltung der Augenhöhe und Gleichberechtigung sanft auf die Beteiligten übertragen, und dadurch hoffentlich auch der Wandel in den Köpfen und der Systemwandel gefördert.

TF: Warum gehen Unternehmen so eine ‘unsichere’ Geschäftsbeziehung ein?

Der Einstieg braucht zu Anfang immer einen wirtschaftlichen Hintergrund, der durch die transparenten Kosten, ausreichende Anteile und die schlanke Struktur tatsächlich gegeben sein muss. Als nächstes wird hoffentlich erlebt, dass das System in der Realität funktioniert; obwohl wir anders ticken, müssen die Produktion, die Lieferung und die Abrechnung klappen. Dann vergehen manchmal bis zu 2 Jahre, bis unsere Partner wahrnehmen, dass es angenehmer, menschlicher und stressfreier ist, so zu arbeiten! Oft bewegt sich dann in den Unternehmenszusammenhängen unserer Partner auch einiges, sie nehmen z.B. Fair Trade Produkte ins Sortiment auf, ändern ihre Struktur und gehen mit ihren Lieferanten anders um, und so weiter. Man könnte sagen, wir verkaufen eigentlich keine Getränke, sondern ein bisschen Systemwandel über die Köpfe der beteiligten Partner.

TF: Wie kommt Premium mit so vielen Partnern zum Konsens?

Wir stimmen uns per Email ab. Es gibt einen Emailverteiler, auf den jeder Beteiligte sich setzen lassen kann, übrigens auch jeder Endkunde, und schon kann man mitbestimmen. Wir haben einige Methoden probiert, aber Email hat sich als das Effektivste herausgestellt. Von unseren 1650 gewerblichen Partnern und einigen zehntausend Endkunden sind im Moment 110 auf dem Verteiler, das ist also sehr gut handelbar und auch ein sehr gutes Zeichen. Denn: die anderen sehen offensichtlich keinen Bedarf, fühlen sich ordentlich behandelt und wollen beispielsweise nicht für die eigene Erhöhung der Anteile argumentieren. Wenn der Bedarf der Partner richtig integriert ist und es eine funktionierende Struktur gibt, wird die Zusammenarbeit in dieser Form auf Dauer sehr effizient. Unser Unternehmen ist, im Vergleich zu normalen Unternehmen, mit sehr wenig Aufwand zu steuern. Zusätzlich haben wir zweimal im Jahr sogenannte ‘offline’ Meetings, da treffen wir uns an einem realen Ort und diskutieren mehrere Tage miteinander.

TF: Wie hoch ist die Fluktuation Eurer Partner?

Wir verlieren sehr selten Partner. Ich glaube, auch Aufgrund des freiwilligen, vertragsfreien miteinander Arbeitens haben wir eine extrem geringe Fluktuation von unter 2% über 12 Jahre gerechnet. Und da wir nicht ständig auf der Suche nach neuen Partnern sind, diese kennenlernen und in die Strukturen einbauen müssen, sondern sehr lange mit den selben Partnern arbeiten, wird die Zusammenarbeit sehr effizient. Dazu kommt die menschliche Komponente, die sich einstellt, wenn man sich mehrere Jahre kennt und einzuschätzen weiß. Ich persönlich kann mir keine andere Form der Zusammenarbeit mehr vorstellen.

TF: Welche Veränderungen werden mittelfristig (in die nächsten 10-15 Jahren) im Bezug auf wirtschaftliche Gegebenheiten auf uns zukommen?

Das jetzige Wirtschaftssystem ist zu sehr auf Wachstum, Machtausübung und Hierarchien gepolt. In einer nicht wachsenden Welt kann es aber auf Dauer kein unlimitiertes Wachstum geben, allein deshalb, weil die Menschheit wächst und sich endliche Ressourcen teilen muss – und nicht im Wettbewerb stehen. Der führt zu so hohen Reibungsverlusten und Umweltsünden und Kriegen, dass man das schon nicht mehr menschlich nennen kann. Ich glaube: Durch rein hierarchische Unternehmensformen und ungezügelten Wettbewerb werden der urmenschliche Kooperationsdrang und auch das menschliche Miteinander konterkariert. Das ist eine Arbeits- und Gesellschaftsform, die sich auf Dauer nicht durchsetzen wird. Das hoffe ich zumindest.
Ich glaube dennoch, dass die Menschheit als Ganzes diesen Wandel nicht von selbst machen wird, auch wenn es viele gute Strömungen gibt. Als Einzelner liegt der eigene kurzfristige Vorteil doch oft näher als das Gesamtbild, auch wenn das mittlerweile viele sehen. Es gibt ja nicht nur uns sondern viele Projekte, die die Welt zum Positiven verändern wollen. Ich fürchte aber trotzdem, dass es erst einen richtig harten Crash geben muss, damit sich die Dinge wandeln.

TF: Wir haben auf der einen Seite das Crash Szenario, aber haben wir auch Chancen?
Mit der Umsetzung der Geschäftsbeziehung auf Augenhöhe leistet Premuim ja einen Beitrag um so ein Szenario zu umschiffen.

Die ersten 4-5 Jahre haben wir das Projekt bewusst nebenberuflich aufgebaut. Wir wollten genug Zeit haben, um gute Entscheidungen finden zu können. 2008 waren wir soweit, unser Konzept als verbreitenswert zu betrachten. Wir haben es also auf unserer Homepage kostenlos veröffentlicht, es bewusst open source gemacht, damit andere Unternehmen daran partizipieren und es kopieren können.

Das hat relativ gut funktioniert: Es gibt insgesamt 18 Unternehmen, die unser Konzept ganz oder teilweise übernommen haben. Diese werden somit zu zusätzlichen Verbreitern dieser Idee. Wenn das weiter so gut gelingt, dann gibt es nicht nur 18 Unternehmen, sondern vielleicht 180 oder 1800. Dann haben wir eine viel größere Reichweite für die Idee. Die Reichweite jetzt ist schon größer als die Reale, d.h. wir liefern nur in “200” Städte und haben einen Marktanteil von ca. 2 Promille, aber die Reife der Idee ist längst viel größer. Zusätzlich werde ich regelmäßig auf Veranstaltungen der Hochschulen eingeladen um vorzutragen. Insgesamt versuchen wir, versuche ich, auch durch Teilen der Ideen und Erfahrungen den Wandel zu befördern.

TF: Was ist Deine Vision?

Mir ist irgendwann klar geworden, dass wir selber zwar kreditlos und damit zinslos sind und ohne Ratenzahlungsdruck arbeiten. Das hilft schon viel, neben den vielen anderen Dingen die wir anders machen. Unsere Lieferanten müssen doch überwiegend mit Krediten arbeiten. Beispielsweise kostet ein spezieller Getränkelastzug schnell mehrere hunderttausend Euro und muss dann natürlich von einer Bank finanziert werden. Dadurch hat der Fahrer, der uns dann eine Rechnung schreibt, natürlich diese Zinskosten mit eingerechnet. Das muss er ja. und das heißt: Wir selbst haben zwar keine Zinsbelastung, aber es kumulieren trotzdem Zinsbelastungen durch unsere Lieferanten in unseren Preis. Das gefällt mir nicht, weil diese Ratenfinanzierung natürlich Druck bedeutet. Und: Es fließt Geld an Leute, nur weil sie schon Geld haben. D.h. sie verleihen Geld vorübergehend und bekommen dafür Zinsen, aber arbeiten selbst nicht – und das finde ich unsozial.
Banken können sogar Geld verleihen, das sie gar nicht haben. In Deutschland gibt es die Eigenkapitalquote von 3-5% pro Bank, sie kann aber 100% der Summe verleihen. Das heißt, es letztlich wird nicht existentes Geld verliehen, und dafür werden Zinsen bezahlt. Unsozialer geht es eigentlich kaum.
Das würde ich gern ändern. Ich will eine Rechtsform gründen, die mit allen Konsumenten, die wir erreichen können, auf Mitbestimmungsbasis ein Crowdfunding ohne Zinsen umsetzt. Damit wollen wir den Finanzbedarf unserer Lieferanten decken. Wenn uns das gelingt, dann haben wir diese Zinsbelastung nicht nur aus dem System eliminiert, sondern auch unsere Lieferanten wesentlich druckfreier organisiert. Wenn uns das weitreichend gelingt, dann werden wir in der Lage sein, mit diesem Konzept sogar günstiger anzubieten, als die etablierten Hersteller. Dann hätten wir den Beweis erbracht, dass man das Wirtschaftssystem komplett ändern kann. Das ist mein Traum, aber ob er wahr wird, das muss ich noch sehen.

www.premium-cola.de