Prof. Dr. Eva Horn,
Professorin für neuere deutsche Literatur an der Universität Wien

Reading Time: 4 minutes 

go to english version

Die Veränderung und Eingriffe, die der Mensch auf der Erde getätigt hat, manifestieren sich –  im wahrsten Sinne des Wortes – in etwas ‘Epochalem’: Unser Zeitalter hat sich verändert, wir haben das Holozän, das den Anfang der menschlichen Zivilisation markiert, verlassen und leben nun im Anthropozän. Dem Zeitalter, in dem der Einfluss der Menschen auf die Erde exponentiell wächst und langfristige Veränderungen bewirkt. Diese Veränderungen haben einen Schwellenwert überschritten, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Sich dessen bewusst zu werden und Verständnis dafür zu entwickeln, dass wir weder als Person, noch als Land oder Kontinent abgegrenzt vom ‘Großen Ganzen’ sind, ist ein wichtiger Schritt, genauso wie eine globale Politik gefragt ist, die sich jenseits nationaler Sonderinteressen diesen Problemen stellt.

Interview von Julia Weinzettl

Im Sinne des Taskfarm Konzepts wurde Prof. Dr. Eva Horn von Helmut Blocher auf das Interview eingeladen.

Data: Marc Imhoff/NASA GSFC, Christopher Elvidge/NOAA NGDC; Image: Craig Mayhew and Robert Simmon/NASA GSFC

Was ist das Anthropozän?

Prof. Eva Horn: Der Ausdruck Anthropozän ist die Benennung einer neuen geochronologischen Epoche: nämlich des Zeitalters, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist.

Der Ausdruck wurde 2000 vom niederländischen Chemiker Paul Crutzen  ins Spiel gebracht und 2016 auf dem Internationalen Geologischen Kongress in Kapstadt offiziell vorgeschlagen. 
Das Anthropozän beginnt im Grunde schon im 19. Jahrhundert mit der industriellen Revolution, festgesetzt wurde der Beginn von Geologen allerdings auf die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts, als Atomtests eine weltweit nachweisbare Spur von Plutonium hinterließen.

Es handelt sich um einen Zeitraum, in dem der Einfluss der Menschen auf die Erde exponentiell wächst und langfristige Veränderungen bewirkt.

Hierzu zählen beispielsweise die Atombombentests, das Bevölkerungswachstum, der exzessive Einsatz von Erdöl, der Einsatz von Kunstdünger in der Landwirtschaft, ebenso wie die Plastikvermüllung der Weltmeere, Artenverschleppung und Artensterben, die Umweltverschmutzung und der Klimawandel. Das Anthropozän steht also für die vom Menschen gemachten Umweltprobleme. Weil diese immer mehr und immer schneller eskalieren, nennen Wissenschaftler die Phase, in der wir uns gerade befinden, die ‘Great Acceleration’, die große Beschleunigung.

Diese Beschleunigung ist exponentiell. Das heißt, das Anthropozän ist auch ein Zeitbegriff, nicht nur ein Begriff für die Jetztzeit und die Epoche, in der wir leben, sondern es ist ein dynamischer Begriff, der diese Beschleunigung auf den Punkt bringt.

Woher kommt der Auslöser einen Epochenwechsel bestimmen zu wollen?

Prof. Eva Horn: Die Kernaussage des Anthropozäns ist, dass wir eine Grenze überschritten haben. Es handelt sich nicht einfach nur um eine Krise, die nach dem Erreichen des Tiefpunkts wieder besser wird, sondern wir sind über einen Schwellenwert gekommen, an dem der Mensch unumkehrbare Eingriffe auf der Erde bewirkt hat. Wie zum Beispiel die Veränderung der Wasserzyklen und die Nutzung von Böden für Städte und Landwirtschaft. Wasser durchläuft einen komplizierten Zyklus, vom Meer in die Luft und von dort in den Boden. Das Wasser in der Luft – die Luftfeuchtigkeit – ist für Pflanzen, Tiere und Menschen essenziell. Ein weiteres Beispiel ist der Artenverlust – hier handelt es sich nicht nur um die ‘armen Eisbären’, die oft zitiert werden. Wenn man darüber nachdenkt, wie abhängig wir von bestimmten Insektenarten sind, da sie Pflanzen bestäuben, bekommt die Tragweite des Artenverlusts auch für uns eine andere, existentielle Dimension. Das sind nur einige Facetten des Anthropozäns.

Es klingt wie eine Zusammenfassung aller Probleme bzw. aller Schandtaten, die die Menschen der Natur angetan haben.

Prof. Eva Horn: In gewisser Weise fasst es diese tatsächlich zusammen, aber das Anthropozän ist weit mehr als das. Das Anthropozän bezeichnet nicht ein Problem, sondern eine Metakrise, die aus etlichen ökologischen Veränderungen besteht – manche kennen wir vielleicht noch gar nicht. Das bedeutet im Klartext: Das, was für die letzten 12.000 Jahre galt, nämlich das Zeitalter Holozän, das den Anfang der menschlichen Zivilisation markiert, ist jetzt vorbei.

Der Mensch ist Namensgeber dieser neuen geologischen Epoche, das bedeutet nicht nur Verursacher von Veränderungen zu sein, sondern auch eine andere Verantwortung für die Geschehnisse zu tragen.

Jetzt stehen wir hier am ‘point of no return’, was können wir nun tun?

Prof. Eva Horn: Einer der wichtigsten Schritte ist, sich bewusst zu werden, dass tatsächlich etwas getan werden muss. Und zwar nicht nur vom Einzelnen, dem oft die Probleme zu groß um sie lösen zu können erscheinen und der daher die Hände in den Schoß legt. Es sind auch die kleinen Schritte, wie darüber nachzudenken, dass es nicht jedes Jahr das neueste Handy sein muss oder dass es wenig bringt, ein Benzinauto durch ein E-Auto zu ersetzen.

Ein wichtiger Punkt ist, ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass wir weder als Person, noch als Land oder Kontinent abgegrenzt vom ‘Großen Ganzen’ sind. Die Plastikinseln im Pazifik beispielsweise sind nicht entstanden, weil man in Asien mehr Plastik wegwirft, sondern weil sie von den Meeresströmungen dorthin geschwemmt wurden.

Es geht darum, das Gesamtdenken über das Leben auf der Erde zu verändern und einen anderen Zugang zu schaffen. Wir haben es nicht mit Einzelproblemen zu tun, sondern mit komplexen Vernetzungen und Dominoeffekten. Durch die massive Veränderung des gesamten Ökosystems der Erde gibt es keine vom Menschen unberührte Natur mehr. Der Mensch als Eindringling hat auf alles Einfluss genommen. Eine Idee des Umdenkens ist es, den Menschen  als Teilnehmer an Netzwerken und Kreisläufen zu verstehen, der die Natur nicht einfach als ‘Ressource’ benutzt, sondern Tiere, Pflanzen Landschaften, Wasserkreisläufe und Klimata als Mitexistenzen versteht, die auch ein Recht auf Intaktheit haben. Ein Umdenken in der Bevölkerung ist darum genauso wichtig, wie eine globale Politik, die sich jenseits nationaler Sonderinteressen diesen Problemen stellt.

www.germanistik.univie.ac.at

About:
Prof. Dr. Eva Horn ist Professorin für neuere deutsche Literatur an der Universität Wien. Sie hat in
Deutschland, der Schweiz, Österreich, Frankreich und den USA unterrichtet. 2014 erschien „Zukunft als
Katastrophe“ im Fischer Verlag. Derzeit arbeitet sie an einer Einführung in das Konzept des Anthropozäns und an einer Kulturtheorie des Klimas.