Dr. Michael Bartl, Vorstand HYVE AG

 

Dinge werden ‘smart’, können Daten in Information umwandeln und anhand dessen Handlungen vornehmen. Dennoch sind die Fakten unvollständig, denn obwohl aufgrund der Daten, die vorhanden sind, Empfehlungen abgegeben werden können, fehlt doch ein wichtiger Punkt: der emotionale Zustand indem sich der Benutzer gerade befindet. Mit dieser Information werden Empfehlungssysteme viel genauer, da sie den Istzustand kennen und danach handeln können. Hyve Vorstand Dr. Michael Bartl entwickelt dazu ein Produkt.

Hyve ist ein Innovationsunternehmen, dass sich mit Produkt Design, Marktforschung, Data Science, Software und Anwendung von Innovationstechniken auseinandersetzt. Ihr hostet Startups und Unternehmen und begleitet sie in der prototyping Phase und arbeitet auch an verschiedenen Research Projekten. Immer wieder launcht Ihr auch Euer eigenes Produkt. Was hat Euch dazu bewogen, Tawny – emotionale Intelligenz für Dinge – zu starten?

Michael Bartl: Tawny fällt in den Bereich Affective Computing. Dieser Begriff wurde von der MIT Professorin Rosalind Picard geprägt. Sie sagt, dass wenn wir wollen, dass Computer intelligent sind und natürlich mit uns interagieren, müssen wir die Computer mit der Möglichkeit ausstatten menschliche Emotionen zu erkennen, zu verstehen und selbst auch auszudrücken.
Wir arbeiten daran Systeme menschliche menschliche Befindlichkeiten oder emotionale Zustände erkennen und verarbeiten zu lassen.

Wie kann ich mir das vorstellen?

Michael Bartl: Der Computer, bzw. in unserem Fall die App, erkennt zum Beispiel ob du gerade über- oder unterfordert bist, ob du dich konzentrierst, traurig oder glücklich bist. Dieser Zustand wird über Sensoren erkannt. Hier gibt es unterschiedliche Zugangsweisen wie mittels Kameras, die die Gesichtsmuskeln analysieren und dann als Facial Coding System erkennen wie du dich fühlst oder Wearables, die mittels Hautkontakt die Analyse vornehmen. Diesen Anwendungsbereich verfolgen wir bei Tawny.

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Diese Emotionserkennung wird dann mit den Internet der Dinge verbunden. ‘Smarte’  Dinge erkennen die Emotion und liefern einen Mehrwert für den Anwender?

Michael Bartl: Ganz genau.

Das bedeutet der Kühlschrank weiss, dass ich hungrig bin und reagiert dann darauf?

Michael Bartl: Das Gedankenspiel ist wirklich, dass du eine Maschine bist und weißt wie sich dein Benutzer fühlt. Unser erster Use Case war tatsächlich eine Küchenmaschine. Der Thermomix – eine vernetzte Küchenmaschine, in die man Rezepte aufladen kann. Wir konnten mittels Armbändern auf Basis der Schlafdaten ziemlich gut vorhersagen in welcher Grundstimmung die Person sich befindet. Gut, schlecht, traurig, gelangweilt, etc.. Dieses Wissen haben wir mit den persönlichen Vorlieben für Rezepte und dem Ort an dem sich die Person befindet kombiniert. Zum Beispiel dem sonnigen Spanien oder dem verregneten München. In Abhängigkeit dieser emotionalen Daten + den Vorlieben + der Ortsangabe werden dann Rezepte empfohlen, die automatisch in der Küchenmaschine aus dem Internet geladen werden. Dann gibt es eine Cooking Journey, die dir dann vielleicht empfiehlt 100 Gramm Zucker, eine Limette und einen Schuss Vodka zusammenzumischen, denn du brauchst jetzt einen kühlen Drink. (grinst)

Man kann diese Idee natürlich weiterspinnen. Wenn du ein Auto wärst und merkst, da steigt jetzt zum Beispiel der Hans ein und ist heute wieder total aggressiv, dann würdest du die Fahrerassistenzsysteme so anpassen, dass sie sensibler reagieren und beispielsweise früher bremsen. Wenn du ein Smart Home System wärst, dann würdest du vielleicht die Lichtverhältnisse anpassen, weil ich gerade in der Verfassung bin konzentriert zu arbeiten, und die Musik spielen, die ich gerade hören will.

Die Dinge bekommen nicht nur Fakten als Information, sondern werden mit dem emotionalen Zustand in dem sich der Benutzer zu dem Zeitpunkt befindet. Dadurch wird die Information über den Benutzer vervollständigt.

Michael Bartl: Die Dinge werden smarter und smarter und immer mehr vernetzt, aber eigentlich nur auf der Intelligenzachse, denn sie analysieren und vergleichen ja nur Daten. Zum Beispiel was du gestern gegessen hast, was essen Leute noch, die so essen wie du oder welche Filme hast du dir in der Vergangenheit angesehen, welche könnten dich interessieren. Die Recommendation Systeme beziehen im Moment die Emotion nicht mit ein. Es wäre aber wichtig und vollständiger zu wissen, wie du dich fühlst, wenn du nach hause kommst.

Neben dem IQ fehlt der EQ (Emotional Quotient), denn erst dann werden Produkte ja wirklich smart und empathisch.

Im Moment wird allerdings hauptsächlich am IQ gearbeitet. Emotion ist aber immens wertvoll für Recommendersysteme. Die Empfehlungen anhand des emotionalen Zustands ist viel genauer als mit simpler Faktenanalyse.

Wie werden die Emotionen gescannt?

Michael Bartl: Die Emotionen können durch die Kamera, durch Stimmanalyse oder eben auch durch Wearables und Frequenzbänder gescannt werden. Sensoren messen die elektrodermale Aktivität der Haut. Die Messung funktioniert ähnlich wie ein Lügendetektor, man sieht ob jemand gerade aufgeregt ist, schwindelt oder die Wahrheit sagt. Es ist der beste Prädiktor für Stress und misst auch die Herzfrequenz und die Heartrate Variabilty, die Unterschiede oder die Zeiten zwischen den Herzschlägen und wie sehr diese variieren. Dadurch lässt sich relativ genau herauslesen, wie sich jemand gerade fühlt.

Welche Anwendungsbereiche gibt es für emotional intelligente Systeme wie Tawny?

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Michael Bartl: Ein großes Thema ist Arbeitssicherheit. Hier geht es darum zu messen, ob Menschen über- oder unterfordert sind. Dazu gibt es verschiedene Theorien wie beispielsweise die Flow Theorie. Hier geht man davon aus, dass jeder Mensche einen optimalen Zustand hat, bei dem die Fähigkeiten zu den Herausforderungen passen. Wenn ich etwas sehr gut kann, die Herausforderung aber nicht so hoch ist, dann bin ich gelangweilt. Wenn meine Herausforderung zu hoch ist, bin ich gestresst oder habe Angst. Das optimale Verhältnis zwischen Über- und Unterforderung ist der Flow. Eigentlich sollte man in einem Unternehmen beispielsweise am Fließband immer diesen optimalen Grad an Über- und Unterforderung haben, damit sich jeder wohlfühlt. Diese Messung ist jetzt nicht im Sinne der Überwachung zu verstehen, sondern im Sinne der Arbeitssicherheit, Risikominimierung und Fehlervermeidung.

Die emotionale Intelligenz neben der Datenintelligenz mitaufzubauen ist ein großer Sprung und eine große, sehr spezifische Erweiterung.

Diese totale Ehrlichkeit der Emotionen zu Personen, die man überhaupt nicht kennt ist ja doch etwas unheimlich und oft vielleicht nicht unbedingt gewollt?

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Michael Bartl: Ja, da gebe ich dir recht. Ich denke, dass es hier Abstufungen geben wird. Die erste wäre totale Abgrenzung und keine Freigabe der Emotionen. Eine weitere Stufe könnte sein, dass man den emotionalen Zustand für sich selber misst (so wie ich das gerade mit meinem Armband mache) im Sinne von quantify yourself wie das verschieden Sport Apps ja auch mit dem körperlichen Leistungen machen. Die Auswertung gibt einem selbst Auskunft darüber wie häufig ich gut und schlecht drauf bin, wie häufig ich in den letzten Monaten über- oder unterfordert war. Das gibt ein schönes Bild über die eigene emotionale Landschaft – Selbstmanagement der Emotionen. Eine Stufe weiter ist, dass ich meine Emotionen Dingen zur Verfügung stelle um meine Umgebung an meine Stimmung anzupassen, beispielsweise gebe ich der Beleuchtung, der Musikanlage und der Küchenmaschine meine Emotionen frei. So wie man jetzt mittels Bluetooth zu verschiedenen Devices verbinden kann. Die letzte Phase wäre die, dass man seine Emotionen anderen Menschen zur Verfügung stellt. Das bedeutet ich könnte in Echtzeit die Emotionen meiner Frau und meiner Kinder auf dem Handy sehen. Ich glaube es muss eine Art empathischer Permission Levels geben, vom totalen Ichbezug bis zu Dingen und anderen Menschen.

Es sind ja auch medizinische Daten.

Michael Bartl: Ja, da herrschen natürlich auch extreme datenschutzrechtliche Vorgaben. Wir haben jetzt unsere erste Forschungsapp entwickelt, hier ist Datenschutz natürlich ein wichtiges Thema, das von Anfang an mitbedacht werden muss. 

Leserfrage von Reinhard Birke:
Hat man in einer perfekten Umgebung, wenn alle Bedürfnisse erfüllt sind noch die Möglichkeit zum Wunsch?

Michael Bartl: Ich glaube, dass man sich viele Dinge wünschen kann, die die Umgebung nicht perfekt anpassen kann. Eigentlich sollte die Anforderung eines solchen Systems sein den Raum für Wünsche zu schaffen, denn Dinge sind erledigt. Es gibt zwei Arten von Wünschen – der eine richtet sich nach etwas Positivem, der andere möchte etwas Negatives weghaben. Alle negativen Wünsche sollten durch so ein system eliminiert werden. Sobald Assistenzsysteme soweit sind, dass alles negative eliminiert ist, ist es möglich sich auf andere Dinge zu konzentrieren. 

Leserfrage von Christoph Strnadl:
Current A.I. seems to be excellent – after lots of training of a highly specialized and humanly fine tuned – at solving point problems, i.e., answering questions in a relatively confined semantic domain. Additionally, we have not – yet – seen any signs of a “Moore’s law” in software engineering – casting severe doubts on a (exponential) evolution of this technology. How would these observations fit into the wider A.I. and perspective in general and HYVE’s ambitions for the future in particular?

Michael Bartl: I agree that most of the A.I. -based solutions we’ve seen so far have a very narrow focus on a certain task. However, there are promising attempts at generalizing from narrow tasks and transferring knowledge from one problem to another. In recent years, we’ve seen several breakthroughs even most experts expected to be achievable only several years from now. So there is no real doubt that A.I. will play a major role in the future.

www.hyvescience.net

About:
Dr. Michael Bartl ist Vorstand der HYVE AG in München. Zuvor war er bei der Audi AG im Bereich Entwicklung Elektrik/ Elektronik in Ingolstadt tätig Seine Promotion und Studien der Wirtschaftswissenschaften schloss er in London, München und an der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung (WHU) in Vallendar ab. Dr. Michael Bartl ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen in international renommierten Journals und Autor des E-Journals “The Making-of Innovation” (http://www.makingofinnovation.com). Von 2011-2014 war er als Bundesvorstand des Berufsverbands Deutscher Markt- und Sozialforscher tätig. In 2012 erfolgte die Berufung zum Senator in den Senat der Wirtschaft.