Prof. Dr. Ellen Enkel, Leiterin Dr. Manfred Bischoff Institut für Innovationsmanagement der Airbus Group, Zeppelin Universität

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Wie funktioniert Cross Industry Innovation?

Prof. Ellen Enkel: Die Industrie und zwar egal welche Industrie, ist nicht nur daran interessiert inkrementelle Innovation hervorzuheben sondern vor allem radikale Innovation. Es sollen Technologiedurchbrüche erzielt, ganz neue Märkte geschaffen oder komplett neue Produkte und Services entwickelt werden.

Das Problem der radikalen Innovation ist, daß sie mit einem sehr hohen Risiko verbunden ist. Das bedeutet, man weiß nicht, ob die Technologie wirklich so entwickelt werden kann, wie man sich das von Beginn an vorstellt. Man weiß eigentlich auch gar nichts über den zukünftigen Markt, da über den Zukunftsmarkt nun mal keine Marktdaten vorhanden sind, ebenso wie man oft die Kundensegmente noch nicht genau definieren kann. Es lässt sich weiters auch schwer abschätzen, ob es möglich ist, mit dem Geschäftsmodell genau die Zielgruppe anzusprechen, die man mit diesem Service oder Produkt assoziieren will.

Da tritt Cross Industry Innovation ins Spiel

Prof. Ellen Enkel: Genau, Cross Industry Innovation hat den Vorteil, daß Lösungen von anderen Industrien gezielt gesucht und dann übernommen werden. Dahinter steckt eigentlich eine ganz alte Idee. Der Wirtschaftswissenschaftler Joseph Schumpeter hat vor vier Jahrzehnten bereits gesagt, dass 80% aller Innovationen eine Rekombination bereits existierenden Wissens sind, lediglich 20% der Innovationen basieren auf tatsächlichen technologischen Neuerungen. Mittels Open Innovation haben wir uns in den letzten zehn Jahren neue Wissensquellen durch die Rekombination des im Unternehmen vorhandenen Wissen mit dem Wissen von Kunden und Lieferanten geholt.
Ich mache seit über fünf Jahren eine Open Innovation Studie, innerhalb dieser wir jährlich Fragebögen auswerten und Interviews führen. Im Zuge dessen vergeben wir den Open Innovation Award an die drei besten Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Studie hat gezeigt, dass sowohl Kunden als auch Lieferanten natürlich auch mit den Konkurrenten zusammenarbeiten. Es gibt also gar nicht so viele hochkreative Partner mit denen man ein exklusives Verhältnis schaffen kann.

Daher unterscheiden sich auf lange Sicht die Produkte, die mit diesen Kunden und Lieferanten zusammen erarbeitet wurden, nicht mehr stark von denen, die die Konkurrenz erstellt. Um einen Vorsprung oder ein Unterscheidungsmerkmal zu erlangen, muss man auf die Suche nach neuem Wissen gehen, das man mit altem Wissen rekombinieren kann.

Daher ist das Wissen aus anderen Industrien von besonderem Wert. Viele Probleme, die in einer Industrie vorkommen, sind vielleicht in anderen Industrien oder in einem anderen Markt früher aufgekommen und daher wurden dafür schon Lösungen entwickelt. Das bedeutetet, die Lösungen können entweder ganz oder zum Teil übernommen werden und müssen nur noch adaptiert werden.
Wenn das möglich ist, dann ist das Technologierisiko viel geringer, denn die technische Machbarkeit wurde bereits von einem anderen Unternehmen bewiesen.

Das Marktrisiko ist vermindert, da ersichtlich ist, welche Zielgruppen in anderen Industrien angesprochen wurden und wie der Markterfolg erreicht wurde. Und der dritte, massgebliche Vorteil ist, daß sich radikale Innovationen dem Management oft schwer kommunizieren lassen. Mit einem ‘proof of concept’ aus einer anderen Industrie, ist es möglich auf überzeugungsstarke Beispiele zurückzugreifen.

Können Sie ein Beispiel für eine Cross Industry Innovation nennen?

Prof. Ellen Enkel: Vor zehn Jahren hatte Henkel ein sehr großes Problem: Man wusste aus Marktstudien, dass Kunden ihr Geschirrspülmittel am liebsten in komprimierter Form hätten. Die Reinigungsmittel sollten in Tablettenform auf einen einzelnen Waschgang abgestimmt sein. Zu diesem Zeitpunkt hat der größte Konkurrent, Unilever, ein Patent erhalten, das diese Komprimierung perfektionierte und Henkel hatte damit keine Möglichkeit mehr einen bekannten Prozess der chemischen Industrie anzuwenden.

Dann kam es zu einem interessanten Zufall: Das Projektteam von Henkel besuchte als Art Betriebsausflug eine Lebensmittelmesse in Köln. Auf dieser Messe hatte Toffifee zur Anschaulichkeit die Maschine ausgestellt, mit der sie die Pralinen produzierten. Sie haben es geschafft Karamelschokolade in einer komprimierten Tablettenform darzustellen. Das wollte Henkel ja auch, nur nicht mit Schokolade. So wurde einen Toffifee Maschine gekauft, im Chemielabor in Düsseldorf aufgestellt und solange modifiziert, bis man darauf die ersten Somat Tabs produzieren konnte. Durch das Aufgreifen der existierenden Technologie und aufgrund der sehr kurzen Anpassungszeit ist es Henkel gelungen, als erster mit den Somat-Kapseln auf den Markt zu kommen und diese Vorherrschaft bis heute innezuhaben.

Gibt es eine Möglichkeit diesen Zufall zu reproduzieren?

Prof. Ellen Enkel: Henkel hat vor drei Jahren mit meiner Hilfe eine Untersuchung zu dem Thema: “Wie sind die zehn erfolgreichsten Produkte entstanden?” durchgeführt. Wir haben dort den Gedankenprozeß dieser Produkte – von der ersten Idee zur Markteinführung – nachverfolgt und haben herausgefunden, daß alle diese erfolgreichen Produkte von Henkel irgendwie auf einer Cross Industry Komponente basierten. Hierauf traf Henkel die strategische Entscheidung: Wir brauchen weder eine Innovationsstrategie noch eine Coporate Innovation Strategie sondern ganz gezielt eine Cross Industry Strategie.

Gibt es neue Berufsbilder, die sich aus dem Cross Innovation Ansatz ergeben?

Prof. Ellen Enkel: Das Fachwissen von Ingenieuren, die in Unternehmen mit großen Forschungs – und Entwicklungsabteilungen beschäftigt sind, wird immer relevant sein und ein Differenzierungsmerkmal gegenüber der Konkurrenz darstellen. Es ist also nicht so, dass wir nur noch Generalisten oder auch Netzwerker brauchen und keine Ingenieure mehr. Ich würde eher sagen, dass die Notwendigkeit besteht, daß man neben der Fachspezialisierung auch ganz gezielt über den Tellerrand schauen kann. Das können nicht alle Mitarbeiter. Wichtig wäre, daß Leute auch gezielt ausgebildet werden und neben der Ingenieursausbildung beispielweise auch eine Managementausbildung machen oder in unterschiedlichen Industrien bereits Erfahrungen sammeln und sich nicht nur sich auf eine Industrie spezialisieren.
Solche Menschen sind natürlich für Cross Industrie exzellent, weil sie nicht nur die Probleme in einer Industrie so elaborieren können, sondern sie keine Schwierigkeiten haben, das Wissen, das sie von der anderen Industrie präsentiert bekommen, zu verstehen und auf das eigene Unternehmen anzuwenden. Wir brauchen also Menschen, die eine hohe Attraktionsfähigkeit haben und die diese Übersetzungsleistung vollziehen können, sowohl von ihrer Industrie auf eine andere als auch wieder rückwärts.
Diese Personen müssen diese Anwendungen auch innerhalb des Unternehmens verkaufen können um Ablehnung zu überwinden. In vielen Unternehmen findet sich immer noch stark das ‘Not Invented Here Syndrome’. Daher müssen diese Menschen mit sozialen Fähigkeiten ausgestattet sein um ihren Kollegen die technologischen Entwicklungen aus einer anderen Industrie erstmal verständlich und dann schmackhaft zu machen. Sie haben also nicht nur Aufgaben außerhalb des Unternehmens sondern sind auch ganz stark innerhalb des Unternehmens eingebunden um diese Kommunikationsprozesse und die Integration voranzuleiten.

Henkel hat beispielsweise um in der Firmenkultur diese Denke voranzutreiben einen neuen Innovationsteil eingeführt, der heißt: We borrow with pride. Wir leihen von anderen und sind stolz darauf. Hier gibt eben auch ganz gezielt Maßnahmen, die diese externen Sucher und Finder belohnen.

Was ist Ihre Vision?

Prof. Ellen Enkel: Ich glaube, dass wir zukünftig sehr vielfältige Persönlichkeiten innerhalb der Unternehmen benötigen, die gerade in der Forschung und Entwicklung neue Aufgaben bewältigen. Das müssen also Ingenieure sein, die gleichzeitig auch kommunikative Fähigkeiten haben. Das ist ein komplexes Thema, es gelingt heute schon kaum Innovation zu kommunizieren, beispielsweise an die Kunden, an Finanzanalysten, an Stakeholder Unternehmen, an Partner.
Diese Gruppen wollen immer mehr mit den Betroffenen, also mit den Ingenieuren sprechen, die die Innovationen entwickeln. Diese sollen ihnen in die Augen schauen und sie überzeugen. Das setzt natürlich voraus, dass wir Ingenieure ausbilden, damit sie in der Lage sind, in einer allgemeinverständlichen Sprache Innovationen zu kommunizieren. Zusätzlich werden immer mehr Innovationsprojekte kooperativ durchgeführt, da sich Unternehmen im Zuge der Digitalisierung in Bereiche bewegen, die das Unternehmen vielleicht selber nicht mehr beherrscht, sondern Partner braucht, die ihm helfen sich der Herausforderung zu stellen. Daher ist die richtige Art zu Kommunizieren eine extrem wichtige Fähigkeit. Ich würde mir für die Zukunft wünschen, daß in der Ausbildung und auch bei der Einstellung von Mitarbeitern in Unternehmen, solche Fähigkeiten stärker berücksichtigt und gefördert werden.

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Über Prof. Dr. Ellen Enkel:

Ellen Enkel ist Leitern des Dr. Manfred Bischoff Institutes für Innovationsmanagement der Airbus Gruppe an der Zeppelin Universität Friedrichshafen und hält hier den Lehrstuhl für Innovationsmanagement. Außerdem ist sie Editorin eines der international führenden Zeitschriften im Innovationsmanagement, dem R&D Management Journal. Sie leitet den erfolgreichen Executive Master für Digitale Geschäftsmodelle und fokussiert in ihrer praxisorientierte Forschung auf die Themen Open und Cross-Industry Innovationen, digitale Geschäftsmodellen und Innovationscontrolling. Sie ist eine der meist-zitierten internationalen Wissenschaftlerinnen im Bereich Open Innovation und arbeitet mit vielen Top-Unternehmen wie der BASF, BMW, Henkel, SAP, OSRAM und Airbus an der Optimierung des Innovationsprozesses.