Geronimo Cremer,
Senior Innovation Analyst, Henkel Innovation Labs

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So weit weg wie möglich vom Kerngeschäft heißt die gängige Vorstellung in Innovationsprozessen. Um schnell zu innovieren, nicht von langwierigen Prozessen im Großkonzern lahmgelegt zu werden und den Start-up Spirit zu bewahren, ist das die Erfolgsformel. Oder? Das Henkel Innovation Lab bricht mit dieser Vorgabe und setzt den Innovationsprozess mitten ins Unternehmen. Was ist plötzlich anders?
Geronimo Cremer, Senior Innovation Analyst, Henkel Innovation Labs im Interview.

Geronimo Cremer spricht am 13. Okt. 22  am Austrian Innovation Forum.

Bei Henkel hat man sich entschieden, den ‚harten Weg‘ im Innovationsprozess zu gehen. Keine flinken Start-ups, die in weiter Ferne und in Windeseile Innovationen herausbringen, sondern mitten im Geschehen und auch eingebunden in die Denke und Prozesse wird bei Henkel jetzt innoviert. Was ist der Grund für diese Entscheidung?

Geronimo Cremer: Unsere Handlungsweise ist tatsächlich diametral anders als normalerweise Venture Building Großkonzerne funktioniert. Wir sind sehr nahe am Kerngeschäft angesiedelt, daher trifft uns auch die volle Breitseite aller Probleme, die das mit sich bringt. Wenn das am Ende klappt, dann hat das durchaus Vorteile, es ist aber auch riskant. Ein großer Punkt ist Geschwindigkeit. Großkonzerne haben sich über lange Zeit Sicherheit in dem, was sie tun, aufgebaut, daher sind sie gewohnt, aus dieser Sicherheit zu handeln. Risikobereitschaft oder die Fähigkeit, selbst unter größerem Risiko und größerer Unsicherheit Entscheidungen zu treffen, ist ihnen fremd.

Die digitalen Geschäftsmodelle, an denen wir arbeiten, sind Neuland. Daher hat man diese Sicherheit nicht und muss es schaffen, dass Teile des Kerngeschäftes, die in die Innovationsprojekte involviert sind, bereit sind, unter Unsicherheit, aber mit genügend Überzeugung den nächsten Schritt machen zu wollen.

Am Ende zählt tatsächlich die Geschwindigkeit. Denn gerade in neuen Geschäftsbereichen abseits vom Kerngeschäft ist Henkel nicht automatisch der Stärkste und der Größte. Und wenn man etwas langsamer ist, ist man trotzdem nicht groß genug, um andere Konkurrenten aus dem Markt zu drängen. Ein zweiter oder dritter Platz reicht bei den neuen Modellen nicht, weil es diese Größenvorteile nicht oder nur zu einem sehr begrenzten Teil gibt. Wir leisten daher auch viel Überzeugungsarbeit und arbeiten auch am Mindset Shift.

Alteingesessene Denkmuster aufzubrechen ist tatsächlich die Königsdisziplin – wie ist eure Herangehensweise?

Geronimo Cremer: Für uns ist hier wichtig, nicht an einer neuen Idee, sondern an der Lösung eines wirklich großen Problems, das unsere Kunden betrifft, zu arbeiten. So können wir eher einen Schulterschluss zwischen den unterschiedlichen Kulturen erreichen, als wenn top down eine Idee weitergereicht wird. Man darf nicht vergessen, dass die Erfolgsquote bei Innovationsprojekten großzügig gedacht 10 % sind. Realistischerweise ist es eher unter 5 %. Das heißt, von 100 Projekten funktionieren fünf und 95 aber nicht. Und das sind Großkonzerne nicht gewohnt. Normalerweise gibt es bei Innovationsprojekten im Kerngeschäft des Konzerns eine gefühlte Erfolgswahrscheinlichkeit von 50:50, realistischerweise sind es eher 25 %.
Wenn man nachfragt, auch in anderen Corporate Innovation Hubs, nach wie vielen nicht erfolgreichen Projekten der Mutterkonzern nervös wird, dann gibt es Optimisten, die sagen nach drei Projekten. Aber eigentlich ist es nach dem ersten oder dem zweiten nicht erfolgreichen Projekt. Daher ist es wichtig, von Anfang an mehr Sicherheit zu schaffen und das Risiko zu minimieren. Wir investieren zu Beginn viel Zeit und Ressourcen darin, das Problem genau zu definieren, zu verstehen und den Customer Need zur Problemlösung zu bewerten. Als Nächstes muss eine Business Case dazu gerechnet werden. Und als Letztes stellen wir uns die Frage: Sind wir denn auch die Richtigen? Haben wir einen Vorteil als Henkel gegenüber dem Rest vom Markt? Wenn wir den nicht haben, dann lohnt sich die Umsetzung für uns eigentlich nicht. Denn dann ist das Risiko oder die Wahrscheinlichkeit groß, dass jemand anderer das Problem schneller oder besser löst als wir.

Wie sind Deine Erfahrungen bisher mit dem Mehraufwand durch die Nähe im Konzern in Bezug auf Abstimmung und Überzeugungsarbeit versus dem Start-up, das weit weg ist und daher schneller innovieren kann?

Geronimo Cremer: Ein eindeutiger Vorteil, den wir sehen ist, die langfristige Unterstützung und das langfristige Mandat, das wir vom Großkonzern haben. Wir müssen nicht immer wieder dafür kämpfen und diese Brücke schlagen, denn oft ist man als Innovation Lab oder Start-up weit weg von der Realität des Großkonzerns.

Unser Innovation Lab hat aufgrund der Nähe und der Problembearbeitung ein großes Mandat bekommen. Wir sind eng am Kerngeschäft und haben daher auch die langfristige Unterstützung mit einem garantierten fixen Budget und einem Umsatzziel bis 2030.

Durch diese Nähe am Kerngeschäft sind wir in der besseren Position, diesen Advantage, den man als Corporate hat, zu nutzen. Denn das Kerngeschäft versteht besser, wie dieser Advantage funktioniert oder wie groß er sein kann. Wie man bestehende Kanäle mitnutzen kann oder Zugang zu Kunden. Das ist eigentlich das, wonach alle Start-ups suchen.

Welche Trends siehst Du im digitalen Innovationsbereich in der Zukunft?

Geronimo Cremer: Der Trend bewegt sich von der reinen digitalen App und Website Solutions weg. Die Anforderungen sind handfester geworden, weil das Internet of Things ein ernst zu nehmender Player wird. Viele arbeiten daran, in ihre Produkte, eine digitale Komponente einzubauen, die etwas misst. Darüber wird versucht, ein digitales Geschäftsmodell aufzubauen. Diese Ideen sind anspruchsvoller und ressourcenintensiver als einfache digitale Lösungen. Aber wenn sie gelingen, skalieren sie auch stärker.

Da könnten Corporates, wenn sie es richtig machen, ihre Größenvorteile ausspielen. Denn diese Projekte sind kapital- und zeitintensiver, hier kann der lange Atem und die Unterstützung von Corporates noch mal ein Edge sein. Insofern ist momentan ein guter Moment, um Innovationen nahe am Corporate zu machen, wenn man es schafft, mit diesem Cultural Clash umzugehen.

About:

Geronimo Cremer war 6 Jahre bei Procter & Gamble u.a. verantwortlich für Zukunftsforschung und Trendscouting beim Thema Einkaufen, Innovationen im Bereich go-to-market und einer der globalen Experten für Consumer Psychology. Bei Henkel ist Geronimo jetzt im innovation lab in Berlin verantwortlich für das Scouting, die Analyse und den Start neuer digitaler, offcore Innovationen.
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