Hans Stoisser / Afrika-Wirtschaftsexperte, Speaker und Autor

 

Dein Buch heisst: ‘Der schwarze Tiger – was wir von Afrika lernen können’ – eine Analogie zu den asiatischen Tigerstaaten – ist das tatsächlich der Fall?

Hans Stoisser: In Afrika gibt es keine Tiger, richtig. Aber einzelne afrikanische Länder sind drauf und dran zu Tigern zu werden. Wie einst die asiatischen Tigerstaaten Taiwan, Südkorea, Hongkong und Singapur, ja.
Die Entwicklung der Weltwirtschaft wird ja oft mit Zugvögeln verglichen. Zuerst heben die starken ab, in deren Windschatten dann die Schwächeren. Japan in den 1960ern, dann die asiatischen Tigerstaaten, in der dritten Reihe waren es Malaysia, Indonesien, Thailand, Philippinen. Vierte Reihe: China, Indien, Vietnam, Pakistan, Bangladesch. Und jetzt die afrikanischen Länder.

Afrika ist natürlich nicht Afrika, aber zumindest 30 der 49 Länder Sub-Sahara Afrikas haben eine erstaunliche wirtschaftliche Entwicklung hinter sich. Wie Ghana, Mosambik, Äthiopien oder Ruanda. Welche davon die Tiger werden, wird man erst sehen.

Jetzt rückt die Generation Y – also der zwischen 1980 und 1995 Geborenen – in die Führungspositionen vor. In wachsenden Gesellschaften geht das ja schneller als bei uns. Das sind die Menschen, die dank Satelliten-TV und Internet die gleichen Jugenderfahrungen haben wie ihre Counterparts bei uns. Dabei war ihre Elterngeneration zumeist noch abgeschieden am Land aufgewachsen. Ein unglaublicher Entwicklungssprung.

Was können wir von Afrika lernen?

Hans Stoisser: Die Vitalität, das ist das, was mich in manchen afrikanischen Ländern am meisten fasziniert. Die Lebenskraft, die Lebensfreude und der Elan von Menschen, der offensichtlich Gesellschaften innewohnt, die eine klare Ausrichtung haben. Die wissen, was sie wollen.

Wir können lernen, dass unser materieller Reichtum höchst flüchtig ist, wenn es kein klares Bewusstsein für Sinn und Zweck unserer Gesellschaften gibt. Die Orientierungslosigkeit in der Politik, also dort wo gesellschaftliche Macht gelebt wird, ist ja im Moment mit Händen zu greifen. Das ist besorgniserregend.

Dabei braucht die Welt Europa wie nie zu vor. Ein Europa, das auf dem humanistischen Menschenbild aufbaut. 9000 km entfernt in Johannesburg sieht man das gemeinsame europäische Fundament sehr deutlich.

Was müssen wir von Afrika lernen um in Europa wettbewerbsfähig zu bleiben?

Hans Stoisser: Globalisierung und Digitalisierung treffen in vielen afrikanischen Ländern auf der „grünen Wiese“ aufeinander. Dabei entstehen ganz neue Dinge.

Beispiel Mobile Banking. Noch mit der einfachen Mobiltelefontechnologie, vor Internet und Smartphone, wurde ein Bankensystem geschaffen. Basis war das Wertkartenhandy und das Transferieren von Gesprächsguthaben. Man konnte damit sofort bis in den hintersten Winkel des Landes Geld transferieren. Mittlerweile ist das erfolgreiche Unternehmen M-Pesa in großen Teilen Afrikas vertreten und hat auch nach Rumänien expandiert ,wo es nun in direkter Konkurrenz zu österreichischen Banken steht.

Beispiel Big Data Anwendung. In vielen afrikanischen Städten wird der Verkehr ja mit „Matatus“, also mit privaten Kleinbustaxis bewältigt. In Dar-es-Salaam gibt es jetzt ein Softwareunternehmen, das dafür Echtzeit-Fahrpläne anbietet. Unglaublich, aber es scheint zu funktionieren. Will ich von A nach B, bekomme ich die Information wann das nächste Taxi kommt und wie lange es brauchen wird. Ein Echtzeit-Fahrplan für ein hochkomplexes dezentral gesteuertes Transportsystem – hochinnovativ.

Was kann in der Zukunft alles geschehen? Werden die 3D-Drucker das Problem mit den fehlenden Handwerkern lösen? In Ruanda gibt es Überlegungen, Drohnenflugzeuge für ein Transportnetzwerk einzusetzen. Ähnlich wie die Telefon-Festnetztechnologie übersprungen wurde, kann man dann auch den Vollausbau der Straßennetze überspringen?

Die Entwicklung ist offen. Es wird von den sozialen Innovationen abhängen. Diese können nicht erzwungen werden. Sie entstehen langsam, aber plötzlich sind sie da. Da scheinen afrikanische Länder ein ganz besonderer Boden dafür zu sein. Wir können es uns eigentlich nicht leisten, da nicht dabei zu sein.

Europäische Hilfsleistungen vs. asiatische Geschäftsbeziehungen?

Hans Stoisser: „Wir sind nicht hier um zu helfen, wir wollen Geschäfte zum beiderseitigen Vorteil machen“, das wird als der China Consensus bezeichnet. Und bei aller Kritik, insgesamt hat China einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung in Afrika geleistet. Sie gaben den Ländern vor allem eine zweite Option neben dem Westen. Das allein hat schon die Dynamik angetrieben.

Die europäische Entwicklungshilfe muss sich jetzt neu erfinden. Die Menschen der neuen Mittelschicht wollen nicht als Hilfsempfänger gesehen werden. Und die Armut weiter zurückzudrängen, ist mittlerweile in die Verantwortung der lokalen Regierungen übergegangen.

Stichwort Migrationswelle – wie können wir aktiv mit diesem Thema umgehen und vorort mithelfen und ev. mitgestalten?

Hans Stoisser: Wir müssen klarer unterscheiden zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungshilfe, auch Entwicklungszusammenarbeit genannt. Bei erster geht es um direkte Unterstützung und Hilfe von Opfern von Naturkatastrophen oder Krisen, wie z. B. den Menschen die der „Hölle Syriens“ (John Kerry) zu entfliehen versuchen. Bei zweiter geht es im Wesentlichen um den Aufbau von Strukturen zur Armutsbekämpfung. Im Jahr 2013 wurden vom Westen lediglich knapp 11 Milliarden USD für humanitäre Hilfe aufgewendet, für Entwicklungszusammenarbeit aber 124 Milliarden USD (OECD).

Die humanitäre Hilfe müssen wir verstärken, denn je vernetzter und mobiler die Welt, umso näher rücken wir an die Krisen der Welt heran und umso mehr müssen wir zu deren Bewältigung beitragen.

Die Entwicklungszusammenarbeit aber muss Teil einer breiten europäischen Politik werden. Und die muss sich an der Gestaltung der globalen Gesellschaft messen. Was kann  Europa der Welt geben? Das ist die entscheidende Frage.

Ich meine, wir müssen da beim größten Hebel ansetzen: bei der Mittelschicht der aufstrebenden Länder. Sie ist unser natürlicher Partner. Sie hat gleichgerichtete Interessen nach Sicherheit, Freiheit, Wohlstand und persönlicher Sinnerfüllung. Und sie ist das wichtigste Bollwerk gegen autoritäre und oligarchische Staatsapparate.

Und ich sehe nur einen Weg: Wir müssen diese Menschen begeistern, mit unserer Art wie wir mit ihnen zusammenarbeiten, mit unseren Leistungen, mit unseren Produkten.

Welche Stellung wird/kann Europa innerhalb der nächsten 10 Jahren einnehmen?

Hans Stoisser: Es wird wohl die Vernetzung Europas mit den Menschen und deren Organisationen in den aufstrebenden Ländern sein, die über den zukünftigen Platz Europas in der Welt entscheiden wird. – Und darüber, wie unsere globale Gesellschaft einmal aussehen wird.

Europa als Softpower muss seine Interessen offensiv einbringen. In meinem Buch schlage ich im Umgang mit den afrikanischen Ländern vor, sich an Prinzipien auszurichten, die sich mit

WERTE, BEGEISTERUNG, AUGENHÖHE, ITERATION und WERTSCHÄTZUNG

beschreiben lassen.

Leider aber knirscht es derzeit gewaltig in Europa. Die Flüchtlingsströme treffen auf eine in Einzelinteressen zerfallende Struktur. Leadership? Europäische Werte als Anker in der Brandung geopolitischer Ereignisse? Fehlanzeige.

Ich bin fest überzeugt davon, es muss eine neue Außenorientierung Europas sein, die als Nebeneffekt dann auch eine innere Konsolidierung hervorbringt.

What to do? – Was ist Deine Vision?

Hans Stoisser: Das Mitbauen an einer empathischen globalen Gesellschaft. Offene Systeme, in denen es gelingt, die neuen ungeheuren Möglichkeiten materiellen Wohlstand für alle zu schaffen, mit Zweck und Sinnerfüllung für Gesellschaften und für den Einzelnen in Einklang zu bringen.

Der schwarze Tiger – Hans Stoisser
www.hansstoisser.com

About:
Hans Stoisser ist Afrika-Wirtschaftsexperte, Speaker und Autor. Als er 1982 zum ersten Mal nach Afrika reiste, wurde er zum Mitbegründer einer Städtepartnerschaft auf Kap Verde. Zweieinhalb Jahre lang lebte er in dem kleinen Ort Pedra Badejo und leitete den Aufbau von Gewerbebetrieben und Bauvorhaben zum Ausbau der Stadtinfrastruktur. Damals erlebte er noch die archaisch-ländlichen Strukturen der „vor-modernen“ Welt, bevor globale Vernetzungen und Verflechtungen diese Länder zu einem Teil der Weltgesellschaft machten.
Ab 1991, kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, begleitete Hans Stoisser österreichische Unternehmen bei ihrer Expansion in die osteuropäischen Nachbarländer. Als Mitarbeiter des staatlichen „Ost-West Fonds“ entwickelte er Finanzierungen und Finanzierungsgarantien.
In den 1990er gründete er das Unternehmen ECOTEC – wirtschaftliche-technische Infrastrukturaufbau GmbH. Zunächst lieferte ECOTEC städtebauliche Konzepte und baute Infrastrukturen in Bulgarien, Palästina, Brasilien, Südafrika, Mosambik, Angola, Kenia, Uganda, Tansania, Äthiopien und Kap Verde. Österreichische Unternehmen wurden bei ihrer Internationalisierung in Kenia, Tansania, Äthiopien, Uganda, Angola und Mosambik unterstützt.
Seit den 2000er Jahren hat sich ECOTEC auf „institutionelle“ Infrastrukturen, den Aufbau und das Management von Institutionen, konzentriert. In Mosambik, Uganda, Südafrika und Kap Verde werden Ministerien, Provinzregierungen und Gemeinden beraten. Privaten Unternehmen werden Managementausbildungen und –beratungen angeboten.
Hans Stoisser sieht in der Führung von Organisationen einen entscheidenden Hebel am Weg zu einer friedlichen und wohlstandsschaffenden Weltgesellschaft. Sein Managementdenken hat er in St. Gallen in der Schweiz gelernt. Mit seinem Unternehmen ECOTEC ist er externer Partner von Malik Management Zentrum St. Gallen für Afrika. Außerdem ist er CMC® – Certified Management Consultant und Licensed Content Associate für Management 3.0.