Bis vor kurzem war der Begriff Entrepreneurship mit Start-ups gleichgesetzt. Heute wird Entrepreneurship breiter definiert. Es sind Menschen, die neue Ideen umsetzen, Gelegenheiten erkennen und wissen, was man dafür an Ressourcen und an Kompetenz braucht. ‘Alle Kinder und Jugendlichen, die derzeit in der Schule sind, werden irgendwann die Personen sein, die unsere Gesellschaft prägend mitgestalten’, sagt Prof. Johannes Lindner, selbst Entrepreneur, als Evangelist der Entrepreneurship Education in Österreich und Europa.
Es ist kein Automatismus, dass eine Gesellschaft wohlhabend ist. Jede Generation muss für sich Weichen für die Gesellschaft stellen. Entrepreneurship Education möchte Kinder und Jugendliche insofern unterstützen, dass sie lernen Gestalter der Gesellschaft zu sein.
Warum ist Entrepreneurship ein wichtiges Thema in Schulen?
Johannes Lindner: Man könne es mit dem Begriff Social Inclusion umfassen. Viele Personen oder Eltern erleben nicht, dass in unserer Gesellschaft wirklich alles möglich ist. Daher können sie auch für ihre Kinder keine Rollenbilder sein. Für Kinder ist es aber wichtig zu sehen, dass in unserer Gesellschaft sehr viel möglich ist und dass man auch selbst dazu beitragen kann. Das Selbstvertrauen zu haben etwas beizutragen und die Art und Weise auf die man wirksam etwas beitragen kann, muß man irgendwo lernen. Wir gehen eine lange Zeit in die Schule, in dieser Zeit sollte man auch lernen, wie man in der Gesellschaft Partizipation ermöglicht.
Der Zweite Grund hängt mit unserer demografischen Entwicklung zusammen. Wir haben heute im Durchschnitt eine Einkindfamilie. Das bedeutet, dass sich oft zwei Elternteile und vier Großeltern auf ein Kind konzentrieren. Es ist sehr schön, dass sie ihr Kind lieben. Es hat aber auch den Effekt, dass das eine Kind super serviciert wird und eigentlich ein Nesthäkchen ist. Wir haben in der Vergangenheit immer schon Nesthäkchen gehabt, allerdings hat es auch immer andere Kinder oder Jugendliche gegeben. Um aus einer ganzen Generation an Nesthäkchen soziale Wesen zu machen, schickt man sie früh zum Beispiel zu den Pfadfindern oder in Sportvereine. Man müßte aber noch überlegen, wie man ihre Selbstwirksamkeit stärken kann.
Kinder wollen an sich proaktiv sein, aber sie lassen es sich sicher auch gefallen, wenn man sie serviciert.
Der dritte Grund ist, dass es kein Automatismus ist, dass eine Gesellschaft wohlhabend ist. Jede Generation muss aufs Neue überlegen, wohin sie die Gesellschaft und die Wirtschaft steuert und wie sie diese mitgestalten kann. Ich glaube, es ist wichtig, dass möglichst viele Leute die Bereitschaft und die Kompetenz haben, mitzugestalten. Hier geht es nicht nur um Wirtschaft sondern auch um alle anderen Bereiche in der Gesellschaft. Alle Kinder und Jugendliche, die derzeit in der Schule sind, werden irgendwann die Personen sein, die unsere Gesellschaft prägend mitgestalten. Entrepreneurship Education möchte sie insofern unterstützen, dass sie lernen Gestalter der Gesellschaft zu sein.
Du bist ebenfalls ein Gestalter der Gesellschaft. Du bist Initiator der Initiative for Teaching Entrepreneurship (IFTE.at) und des „EESI Impulszentrums“ für Entrepreneurship Education. Ihr habt ein Modell zu Entrepreneurship Education erarbeitet.
Johannes Lindner: Von 2000 bis 2007 gab es in Wiener Schulen einen Modellversuch. Einer der Outputs war das TRIO Modell, ein Erklärungsmodell von Entrepreneurship Education. Aus unserer Sicht besteht Entrepreneurship Education aus drei Elementen:
Co-Entrepreneurship Education: die Fähigkeit eigene Ideen zu entwickeln und zu wissen wie ich sie umsetze. Das beginnt bei kleinen Kindern bis zu Erwachsenen und steigert sich in der Art und Weise der Idee, die ich umsetzen möchte.
Entrepreneur Culture: behandelt das Thema wie ich jemanden ermutigen und inspirieren kann. Man lernt, dass jeder von uns eine bestimmte Energie hat, die er weitergeben kann und auch empfängt.
Im dritten Element wollen wir Jugendliche keine Ellbogen Mentalität lehren, sondern ihnen zeigen, dass sie Teil einer Gemeinschaft und Gesellschaft sind. Das nennen wir Entrepreneur Civic Education. Es befindet sich an der Schnittstelle zur politischen Bildung, man bringt eigene Ideen für die Gesamtgesellschaft ein.
Wo wird dieses Modell angewendet?
Johannes Lindner: Das TRIO-Modell für Entrepreneurship Education bietet die Grundlage für alle Schulen, die Pioniere sind die kaufmännischen Schulen in Österreich. Wir führen derzeit einen großen Feldversuch mit dem Youth Start Programm von der Volksschule bis zu verschiedenen berufsbildenden Schulen durch.
Beim Youth Start Programm kooperieren wir mit fünf Bildungsministerien in Europa, das ist die höchste Art der Europäischen Bildungskooperation, die möglich ist und fallt unter den Begriff Policy Experimentation. Man macht bildungspolitische Experimente, die wissenschaftlich begleitet werden, um einen Beitrag für eine Implementierung zu leisten. Österreich hatte den methodischen Lead, Kooperationsländer sind Slowenien, Luxemburg, Portugal, Dänemark und bilateral Bulgarien.
Das Programm für Volksschulen ist ganz neu. Wir sind sehr dankbar, dass hier viele Volksschulen mitmachen und haben gutes Feedback bekommen.
Was sieht eine Challenge beispielsweise in der Volksschule aus?
Johannes Lindner: Wir veranstalten zum Beispiel ein Trash Value Festival. Das ist eine ganz klassische Entrepreneurship Übung bei der es darum geht, dass man aus Dingen die keinen Wert haben, etwas mit Wert erstellt und darüber reflektiert was man für einen Wert jetzt geschaffen hat und welche Kompetenzen man eingesetzt hat, um das zu schaffen.
Du sprichst viel von Rollenbildern, gibt es auch ein Rollenbild für Entrepreneurship Education?
Johannes Lindner: Für ein Entrepreneurial Eco System haben wir in Österreich ein super Vorbild: unsere Schikultur. Wir wissen, dass unsere tollen Schifahrer oder Schispringer nicht vom Himmel herunter fallen. Es ist kein Automatismus. Es reicht nicht, dass man eine tolle Schanze baut, man muss davor Grundlagenarbeit leisten.
Das Gleiche sehe ich auch bei Entrepreneurship. Der Prozess beginnt im Kindergarten oder in der Volksschule, wo man mit unterstützenden Elementen Kinder kleine Herausforderungen lösen lässt. In voller Kenntnis dessen, dass sie kontrolliert mit Risiken umgehen. Gregor Schlierenzauer sagte einmal in einem Interview, dass er 100 Meter oder mehr hinunter segle, wäre nicht riskant, riskant wäre manchmal das Umfeld oder das Wetter. Aber das könne er gut einschätzen. Riskanter war es, als er ein Volksschulkind war und zum ersten Mal 1,5 Meter sprang. Das fand ich sehr charmant. Wenn Kinder lernen mit bestimmten Aufgaben umzugehen, dann haben sie in weiterer Folge gelernt, wie sie mit grösseren Herausforderungen umgehen können.
Wie bist Du dazu gekommen, Dich dieses Themas anzunehmen?
Johannes Lindner: Ich war 1996 über die Uni in ein Projekt involviert, bei dem es um die Reform der Wirtschaftslehrerausbildung in Bulgarien ging. In Bulgarien hat es zwar 1989 die Ablöse des Präsidenten Schiwow gegeben, aber danach gab es noch lange Zeit eine kommunistische Regierung. Damals konnte man in vielen Ländern Europas beobachten, dass die erfolgreichsten ‘Unternehmer’ des Landes oft Personen waren, die politisch die richtigen Kontakte hatten, um bestimmte Dinge in ihr Eigentum überzuführen. Das Image der Wirtschaft war von Korruption geprägt und vielen Leuten wurde unterstellt, dass sie eigentlich Diebe sind.
Da dachte ich, wenn es keine Rollenbilder in der Gesellschaft gibt, an denen ich meinen Wirtschaftsunterricht orientiere, dann versuche ich, dass die Jugendlichen selber Rollenbilder werden. So bin ich zusehends auf Entrepreneurship gestossen. Günther Faltin schrieb damals ein Buch mit dem Titel ‘Reichtum von unten’. Er fasste seine Erfahrungen aus Südostasien zusammen, das passte für Bulgarien sehr gut. 1988/89 war ich Gastforscher an der Columbia Business School, bekam viele weitere Impulse zum Thema Entrepreneurship und lernte viele spannende Professoren kennen.
Das Thema hat Dich nach Abschluß des Studiums weiter begleitet.
Johannes Lindner: Es gab einen Modellversuch an der Schumpeter Handelsakademie in Wien. An dieser Schule lerne ich bis heute mit 2-3 Klassen pro Schuljahr. Es ist wichtig, dass man bei den Kollegen authentisch ist, wenn man in der Lehrerausbildung und an der Verbreitung eines Konzeptes arbeitet. Der Modellversuch wurde gut beleuchtet. Wir hatten verschiedenste kaufmännische Schulen als Pioniere, auch heute sind von 40 Entrepreneurship Schulen 38 kaufmännische Schulen. Es gibt eine hohe Bereitschaft Gestalter zu werden und ein anderes Bild von Wirtschaft mitzuprägen. Nämlich eines in dem man nicht passiv wartet, sondern aktiv Ideen generiert und umsetzt. Immer in Kenntnis dessen, dass das nicht für alle Schülerinnen und Schüler das zentrale Bild ist, was sie machen wollen, aber dass es ein wichtiges Bild ist, das Schüler erreichen wollen. Ich glaube, wenn es eine größere Akzentuierung von Entrepreneurship gibt, wird ein ganz anderes Ergebnis erreicht.
Das ist Dein Credo.
Johannes Lindner: Ja. Mein Hauptmotto ist die Social Inclusion. Ich möchte, dass jeder Schüler die Chance hat, an der Gesellschaft teilzuhaben.
Wie hat sich Entrepreneurship innerhalb der letzten Jahre entwickelt?
Johannes Lindner: Interessant ist, wie sich der Begriff geändert hat, früher war Entrepreneurship gleichgesetzt mit Start-ups. Heute ist Entrepreneurship viel breiter definiert. Heute sind es Menschen, die neue Ideen umsetzen, Gelegenheiten erkennen und wissen, was man dafür an Ressourcen und an Kompetenz braucht. Die Verbreiterung des Begriffs kommt uns natürlich entgegen, weil er heute viel kompatibler mit verschiedenen Arten der Schule und Familie ist.
Wie sieht die Zukunft aus, wenn die Entwicklung so voranschreitet?
Johannes Lindner: Man muss sich die Frage stellen: wie kann es funktionieren, dass eine Innovation im Bildungssystem von Dauer erhalten und auch längerfristig innovativ bleibt? Es ist essenziell, dass die Lehrer und Lehrerinnen sehen, dass sie die Gestalter des Unterrichtes sind. Das Pädagogikelement ist sehr zentral, denn das ist der Grund, warum die meisten LehrerInnen diesen Job ergriffen haben.
Zweitens ist es wichtig, dass noch mehr Jugendliche positive Rollenbilder zeigen. Ich glaube mit diesen Ideen sind wir auf einem schönen Weg. Ich bin beeindruckt was wir für kreative Jugendliche in Österreich haben. Das ist eine Freude. Die Schulstandorte, die Entrepreneurship Education betreiben, haben gleichzeitig Rollenvorbilder. Aus meiner Sicht ist es ganz wichtig, dass Jugendliche sehen, die, die diese coolen Ideen hatten, sind so wie wir. Das können wir auch. Der Unterricht soll ihnen ermöglichen, an ihren eigenen Ideen, aber auch an Ideen für die Gesellschaft zu arbeiten. Für die Schüler ist es von großer Bedeutung zu sehen, dass sie nicht träges Wissen lernen, sondern dass das, was sie sich in der Schule aneignen, die Kompetenz dafür ist, die Gesellschaft mitzugestalten.
Für die Zukunft ebenfalls wesentlich ist, dass Entrepreneurship auch in der Bildungspolitik, auf Bundes- und regionaler Ebene, unterstützt wird. Damit etwas in einem System nachhaltig passiert, braucht es eine systemische Verankerung. Wir haben heute Entrepreneurship in verschiedensten Lehrplänen gut implementiert.
www.eesi-impulszentrum.at
www.youthstart.eu
www.entrepreneurship.at
Johannes Lindner
About:
Prof. Mag. Johannes Lindner ist der erste österr. Ashoka Fellow. Er unterrichtet Entrepreneurship und Wirtschaft an der Schumpeter Handelsakademie und ist Fachbereichsleiter für Entrepreneurship Education und Leiter des Kompetenzzentrums für wertebasierte Wirtschaftsdidaktik der KPH Wien/Krems. Er ist Initiator des „eesi Impulszentrums“ für Entrepreneurship Education (www.eesi-impulszentrum.at) des BMBWF und der Initiative für Teaching Entrepreneurship (www.ifte.at). Er ist seit über 15 Jahren im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der WirtschaftspädagogInnen. Johannes Lindner ist langzeit Lead-Experte des EcoNet-Projektes in zehn Südosteuropäischen Ländern (2001-2013), des Rotary-Projekts Young Entrepreneur in Bulgarien und Bosnien & Herzegowina und des TEA-Projektes in Ungarn. Er ist der Vertreter Österreichs in Arbeitsgruppen zu Entrepreneurship Education der EU-Kommission sowie Herausgeber der Handbuch-Reihe „Entrepreneur“, Co-Autor der Arbeitsbuch-Reihe: „Wirtschaft gestalten“ und zahlreicher Publikationen zu Entrepreneurship Education und Wirtschaftsdidaktik. Johannes Lindner ist Initiator von Programmen wie “Starte DEIN Projekt”, „Misch dich ein – der Debattierclub“, des Betriebspraktikums „Lehrer/innen in die Wirtschaft“ und der Kitzbüheler Sommerhochschule für Entrepreneurship sowie Lehrbeauftragter für Entrepreneurship Education und Wirtschaftsdidaktik der Universität Wien.