Prof. Gunter Pauli

ist Gründer der “Zero Emissions Research and Initiatives” (ZERI) an der United Nations University in Tokyo, sowie Gründer von Blue Economy, Vorstandsvorsitzender des Biopolymerunternehmen Novamont und Serial Entrepreneur. Er lebt in Japan, Belgien und Kolumbien, ist Author von 15 Büchern, unter anderen Upcycling (1999), The Blue Economy: a Report to the Club of Rome (2009) und dessen Fortsetzung The Blue Economy 2.0 (2015). Er ist Co-Editor (gemeinsam mit Fritjof Capra) von ‘Steering Business Towards Sustainability’. Zusätzlich schrieb er bisher mehr als 200 Fabeln für Kinder, die in 16 Sprachen übersetzt wurden. 

 

Was bedeutet „Blue Economy“?

Gunter Pauli: Blue Economy ist eine Open Source Community, die Menschen inspirieren soll Entrepreneurs zu werden und die Welt zu verändern. Ich habe Blue Economy 2004 als ‘ZERI in Action’ (Zero Emissions Research & Initiatives) ins Leben gerufen. Die gemeinsame Vision des ZERI Netzwerks von mittlerweile 38 Organisationen ist es, Abfall als die Ressource anzusehen aus der neue Produkte entstehen können  und einen tatsächlichen Verwertungskreislauf beschreiben. Diese Projekte, einzusehen auf der Blue Economy Website, werden regelmässig erweitert als Resultat der Zusammenarbeit von umsetzungsstarken Menschen.
Brilliante Ideen entstehen nicht im Kopf eines einzelnen Genies, sondern sind Produkt eines Dialogs von engagierten Personen.
Wir müssen die Regeln ändern, die Probleme der Welt von anderen Seiten ansehen und dann danach handeln.

Das Glas ist nicht halb voll oder halb leer – das Glas ist immer voll: mit Luft und Wasser.

Blue Economy orientiert sich an den Naturwissenschaften und dem Evolutionsprozess der Natur – wie kann man sich diese Anwendung im Business vorstellen?

Gunter Pauli: Die Berücksichtigung dessen, wie Natur tatsächlich funktioniert, ist die Basis für jegliche ökonomische Entwicklung. Natürliche Systeme integrieren Nährstoffe, Materie und Energie –  Abfall existiert nicht. Jedes Nebenprodukt ist Ursprung eines neuen Produkts.
Blue Economy verwendet diesem ganzheitlichen Ansatz.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Gunter Pauli: Ein gutes Beispiel ist Steinpapier. Zur Produktion von Steinpapier wird Bergbauabfall verwenden. Man benötigt im Gegensatz zur herkömmlichen Papierindustrie kein Wasser zu Herstellung und es werden keine Bäume abgeholzt – es ist ein Produkt das zu 100% und für immer recyclebar ist.
Das ist genau diese Art von Paradigmenänderung, die mittels Blue Economy umgesetzt wird. Die Produktion von Steinpapier erreicht viele verschiedene Ziele gleichzeitig, indem sie nicht nur dem Klimaschutz hilft, sondern auch den Wasserverbrauch verringert. Wir brauchen Multiresultatprojekte. In China, das an Wassermangel leidet, wurde auch sofort eine Steinpapierproduktionsfabrik erstellt.

Ein weiteres Beispiel ist Cafe. Nicht nur ist der Cafesud ein ausgezeichnetes Mittel um unangenehme Gerüche zu binden – legen Sie einmal einen gebrauchten Cafefilter in den übel riechenden Kühlschrank – die Geruchsbindung erfolgt sofort. Er ist auch ausgezeichneter Nährboden um Pilze zu züchten, die sich wiederum hervorragend zum Verzehr eignen.

In Europa dauert die Umsetzung nachhaltiger Projekte etwas länger, ist der Leidensdruck noch nicht groß genug?

Gunter Pauli: Wir Europäer sind uns dessen bewusst, dass wir viele Probleme haben, aber wer packt diese Probleme bei den Hörnern und sagt – jetzt los!  – jetzt tun wir etwas dagegen, keine Debatten mehr?!
Das ist das Problem das Europa hat. Es werden Machbarkeitsstudien erstellt, technische Analysen gemacht und Kommissionen gegründet. Am Ende des Tages gibt es Stillstand. Es fehlt uns dieser Pragmatismus, den ich beispielsweise in China beobachten konnte. Ich wurde kritisiert, dass ich mit einem Land arbeite, das die Menschenrechte nicht respektiert. Aber es ist nicht meine Aufgabe zu richten und zu sagen, wer gut und wer schlecht ist. Ich möchte aufzeigen, was möglich ist, wenn einem Land bewusst ist, welche Probleme es hat. Welches Land nimmt sich der Probleme an und sagt jetzt lösen wir das und stellen dafür auch die benötigten finanziellen und menschlichen Ressourcen zu Verfügung?
Das geschieht im überadministrierten Europa nicht.

Gibt es einen Rat für Europa von Ihnen?

Gunter Pauli: Europa sollte endlich etwas lockerer werden. Wir sind zu normativ. Wir halten uns zu sehr an Normen und Regeln. Europa muss sich klar werden, dass Regeln nicht unser Leben bestimmen dürfen. Auch unser Ausbildungssystem hat sich auf diese Art in die falsche Richtung entwickelt. Sogar in Waldorfschulen werden unsere Kinder nicht zu offenen, innovativen und aktionsorientierten Menschen erzogen. Was uns vor allem fehlt, ist die Kinder zu inspirieren und weg von den Normen zu kommen.

Wie kommt man dazu, sich eines Themas wie Blue Economy anzunehmen? 

Gunter Pauli: Für mich ist es wichtig, dass wir viel mehr agieren und weniger planen. Unser ethischer Grundsatz ist im Moment: weniger Schlechtes tun ist gut. Aber wir können uns nicht leisten, einfach nur weniger Schlechtes zu tun. Wir müssen endlich viel mehr, viel Besseres tun!
Und nicht glücklich und zufrieden sein, wenn wir weniger Schlechtes tun.
Wir leben mit Doppelmoral: bei einem Dieb ist weniger stehlen auch stehlen, aber wenn ein Unternehmen die Umwelt weniger verschmutzt bekommt es einen Umweltpreis.
Hier ein anders Verantwortungsgefühl zu entwickeln ist Teil der Herausforderung, der wir uns wirklich stellen müssen.

Wie können wir diese Herausforderung bewältigen?

Gunter Pauli: Ich habe eine sehr klare Einstellung: Ich will eine tiefe radikale Transformation der Gesellschaft vorantreiben, aber ich bin kein Che Guevara. Ich werde nicht schießen und eine Revolution machen. Wir müssen nicht gegen etwas sein, sondern sollten endlich für das viel Bessere sein und das auch als Teil unserer Lebenseinstellung begreifen:
Alles kann immer wieder besser sein!
In der asiatischen Mentalität ist diese Denke verankert. Hier wird gedacht, dass  es immer eine Chance gibt um die Dinge zum Guten zu wenden, auch wenn es gerade schlecht aussieht. Den Gegnern, die es uns so schwierig gemacht haben, wird gedankt – weil es durch die Überwindung dieser Hindernisse möglich war, viel bessere Lösungen zu finden.

Das ist ein guter Ansatz. Die Herausforderung ist immer auch eine Chance etwas noch besser zu machen.

Gunter Pauli:  Es geht immer besser, es geht immer mehr als wir uns erträumen und das ist auch die Einstellung, die wir unseren Kindern mitgeben müssen.

Was ist Ihre Vision? Wie könnte die Welt in zehn Jahren aussehen?

Gunter Pauli: Für mich ist das Wichtigste, dass Kinder Visionen haben und dass sie diese auch in Wirklichkeit umsetzen können – das ist mein Traum. Kindern die Möglichkeit zu geben etwas Neues zu sehen, das Mama und Papa sich gar nicht denken konnten, macht mich zu einem glücklichen Menschen. Wir haben als Erwachsene die Chance Kinder zu inspirieren. Kinder sind nicht zufrieden mit Computerspielen oder Barbiepuppen. Sie möchten sich gerne etwas anderes vorstellen. Sie sehen ja auch im Fernsehen was auf der Welt los ist – Hungersnot und Flüchtlinge, aber wir Eltern geben ihnen die Freiheit nicht. Wir zeigen das Schlimme und geben keine Freiheit das Gute zu denken. Das zu ändern ist eine meiner Hauptverantwortlichkeiten. Das tue ich am liebsten.

http://www.zeri.org/
http://theblueeconomy.com
http://novamont.com
http://www.gunterpauli.com/

Change the Rules of the Game: Gunter Pauli at TEDxMaastricht