Karl-Heinz Land/geschäftsführender Gesellschafter der
neuland GmbH & Co. KG, CO-Autor: Digitaler Darwinismus

 

TF: Was ist digitaler Darwinismus?

Charles Darwin hat die Evolutionstheorie beschrieben – digitaler Darwinismus beschreibt die digitale Evolutionstheorie, d.h. das Prinzip von Darwin: “Survival of the fittest” oder “Adapt or die” wird auf die Digitalisierung und die Entwicklung in der Gesellschaft angepasst.

Meine Definition lautet: Digitaler Darwinismus taucht immer dann auf, wenn Technologien die Gesellschaft schneller verändern als Unternehmen in der Lage sind, sich daran anzupassen, dann kommt es zum Darwinismus. Dann kommt es zum Aussterben, nämlich der Firmen, die da nicht mithalten können.

TF: In Folge dieser Theorie haben Sie den ‘Digital Readiness Index’ entworfen, was dürfen wir uns darunter vorstellen?

Wir haben eine Methode entwickelt, den digitalen Reifegrad von außen zu messen. Diese Messung bezieht sich rein auf das Kundenerlebnis. Wir haben über 150 Punkte identifiziert, von dem Angebot der Mobile Apps, des E-commerce Shops, Personalisierung usw. die wir von außen vernetzen. Diesen Reifegradindex haben wir für über 13 Industrien für und über 300 Unternehmen gemacht. Hier konnten wir zum Beispiel feststellen, dass einige Unternehmen im Handel sehr weit fortgeschritten sind, wie Amazon z.B. oder Zalando und OTTO. Dann gab es einige, die, von 350 Punkten/Reifegradindex, nur 13 oder 17 erreicht haben, wie z.B. Praktika, die zufälligerweise eine Woche vorher Insolvenz angemeldet haben, oder Penny, die sich quasi in Auflösung befinden. D.h. es gibt einen direkten Korrelationszusammenhang zwischen digitaler Fitness (digitalem Reifegrad) und Geschäftserfolg.

TF: Was sind die größten Chancen für Unternehmen in dieser veränderten digitalen Welt?

Der Markt wird komplett neu verteilt. Amazon z.B. hatten mit ihrer Strategie auf  “Online”, als mehrere Hundertmilliarden großen Marktwertanteil, recht gehabt. Amazon fingen als Start-up mit einem Mitarbeiter an – heute sind sie zu einem 120.000 Mitarbeiter Unternehmen geworden und z.B. Metro und Billa straucheln. Im Handel und in der Musikindustrie hat die Neuverteilung des Marktes schon stattgefunden. Diese Veränderung wird sich fortsetzen. Airbnb z.B. hat letztes Jahr mehr Übernachtungen in den Vereinigten Staaten verkauft, als alle Hotels in den USA zusammen. Ein Start-up, das noch keine 6 Jahre alt ist, überflügelt Hilton, Marriot und Maritime. Ein weiteres Beispiel ist der Erfolg von Ubertaxi. Uber und mytaxi haben inzwischen, in den Städten in denen sie aktiv sind, teilweise einen Marktanteil von 40 bis 50% . In San Francisco z.B. ist der Anteil von Ubertaxi 46%, d.h. sie bedienen den halben Markt und haben somit den Taximarkt komplett aufgerollt. Diese Wertschöpfungsverschiebung geschieht im Hotelgewerbe, im Kreditkartengewerbe und quer durch alle Industrien. Diese Veränderung hängt direkt mit der Digitalisierung zusammen, weil sie diesen Destructive Change erlaubt.

TF: Wie wird sich die Welt für Unternehmen innerhalb der nächsten 10 Jahre ändern?

Alles was sich digitalisieren lässt, wird auch digitalisiert werden: Schlüssel, Geld, Kreditkarten, Ausweise, Identifizierung, usw.

Wenn eine Branche einmal digitalisiert ist, dann wird sie in der Folge auch automatisiert. Das heißt Handy, Tablet und der Computer werden zum Online Terminal. Dadurch werden sich in der Wertschöpfung die kompletten Abläufe verschieben. Gleichzeitig muss man sich klar machen was geschieht, wenn z.B. ein Schlüssel nicht mehr physisch produziert wird. Gerade haben Drive- now und Citroen angekündig, dass der Autoschlüssel in Zukunft das Smartphone sein wird.

Wenn also der Schlüssel nicht mehr physisch gemacht werden muss, dann ist die Maschine, auf der der Schlüssel hergestellt wird, obsolet. Ein Schlüssel besteht heute etwa aus 15 Teilen (ein Chip, Metall, Kunststoff) – all die Teile werden nicht mehr benötigt. Die Maschinen, auf der die Teile produziert werden, werden ebenso nicht benötigt.

D.h. im Klartext, die ganze Wertschöpfung bricht zusammen. Der Schlüssellhersteller heutzutage sollte in Zukunft Software Schlüssel herstellen, denn physische Schlüssel werden nicht mehr benötigt.
Diese Entwicklung setzt sich gerade in sehr vielen Industrien um – wenn sich z.B. der Reisepass auf einem Smartphone befindet, dann brauche ich weder den biometrischen Chip, noch das Papier, noch die Laminiermaschine. Nachdem der Pass auch nicht mehr gedruckt wird, wird der Drucker ebenso nicht mehr benötigt.

Dadurch ändert sich die Wertschöpfungskette. Das autonome Fahren z.B. ist ja auch nur eine Folge der Digitalisierung. Heute haben wir 70. Mio. Taxifahrer, die werden wir dann sicher nicht mehr brauchen, wenn die Autos selber fahren. Wir brauchen dann aber auch die 350 Mio. LKW- Fahrer nicht mehr, weil die LKWs werden ja auch autonom fahren. Und Frachtraten werden in Zukunft auch von Computern geregelt werden, weil warum sollte ich noch einen Disponenten haben? Etc.. Das heißt, dieser Angriff wird auf der ganzen Front passieren. Sogar die Arbeiter und Handwerker werden durch die Möglichkeiten des 3D – Druckens gefährdet.

Meine These ist: Jeder zweite Arbeitsplatz wird in 15 bis 20 Jahren nicht mehr existent sein, weil es die Arbeit gar nicht mehr gibt. Das werden Maschinen, Roboter, Machine-to-Machine Anwendungen selber machen. Gartner geht davon aus, dass 2020 – also in knapp 15 Jahren – 200 Milliarden Dinge über das Internet der Dinge miteinander kommunizieren. Also Maschinen, die mit anderen Maschinen sprechen und sich austauschen.

Die Wertschöpfung wird zur Hälfte von Start-ups kommen, d.h. von Firmen, die heute noch gar nicht gegründet sind, die heute noch kein Mensch kennt. Wenn man überlegt: Wertschöpfung 1,9 Trillionen Dollar – davon geht Gartner aus – davon 50% von Start ups und 80% der geleisteten Entwicklung wird kein Produkt mehr sein, sondern Software oder ein Service.

Das wird unsere komplette Arbeitswelt in den nächsten 15-20 Jahren so radikal verändern wie es noch keine Industrialisierung gemacht hat, weder die Erfindung der Dampfmaschine, noch die Erfindung des Stroms oder des Ottomotor werden nachhaltiger unser Leben verändern als die digitale Revolution.

TF: Kein Stein bleibt auf dem anderen.

Genau. Und wer sich darauf nicht heute schon einstellt, der wird ein echtes Problem damit haben.

TF: Welche Berufsbilder, abgesehen von Software-Entwicklern, werden sich aus dieser Situation entwickeln?

Digital Scientists und Data Scientists, Personen, die Daten auswerten. Wenn alles zur Software wird, dann geht es auch darum diese digitalen Fingerabdrücke und Spuren auszuwerten und daraus neue Services zu machen.
Informationworker – wurde damals von Peter Drucker als jemand definiert, der Wertschöpfung nur aufgrund von Informationen macht und keine Produkte herstellt.

Wir werden uns auch Gedanken über eine Neuverteilung der Arbeit machen müssen, denn es wird nicht mehr Arbeit entstehen. Es werden auch nicht viel mehr als 100.000 neue Arbeitsplätze in der Fachwelt entstehen.
Die Hälfte der Weltbevölkerung wird irgendwann keine Arbeit haben und das wirkt sich natürlich auf die sozialen Systeme aus.  Derzeit gibt es in Deutschland 3 Mio. Arbeitslose – damit kann man schon sehr gut leben – das ist schon fast Vollzeitbeschäftigung. Der Rest der Gesellschaft trägt das, denn wir haben noch über 40 Mio. Menschen mit Arbeit. Wenn aber demnächst 23 Mio. Menschen ohne Arbeit sind, ändert sich die Situation dramatisch. Ich denke, ab mehr als 5 Mio. Arbeitslosen fängt das System zu wackeln an.
Meine Meinung ist: wir müssen uns jetzt Gedanken um die neue Welt machen und überlegen wie später Arbeit und das Einkommen aus der Arbeit verteilt werden kann. Noch vor 100 Jahren haben wir im Schnitt 80 Stunden die Woche gearbeitet, heute arbeiten wir 38,5 Stunden und trotzdem ist jeder satt. Warum? Durch Automatisierung und Wertschöpfung können wir die Arbeit heute viel effizienter gestalten. Es wird in Zukunft so sein, dass wir wahrscheinlich mit 10 bis 20 Prozent der Arbeitsleistung auskommen. D.h.: wir müssen die Arbeit und das Einkommen aus der Arbeit neu verteilen. Denn sonst hätten auch die reichen Menschen keinen Spaß mehr, sie würden nur noch in Ghettos leben und wir hätten wahrscheinlich apokalyptische Zustände,

TF: Was ist Ihr Lösungsansatz?

Ich fände es gar nicht verkehrt, wenn die Hälfte der Menschen keine Arbeit mehr haben, wenn aber sie trotzdem ein Einkommen haben. Würden wir heute noch 80 oder 100 Stunden arbeiten wollen?  Nein! – aber vielleicht 10 oder 20 Stunden, wenn wir dann ein Einkommen haben mit dem wir auskommen. Deshalb ist das Wichtigste, dass wir jetzt die Grundlagen dafür legen, wie wir damit umgehen wollen. Die Rentendiskussion ob mit 63 oder 65 Jahren ist nebensächlich. Wir müssen uns mit den Kernproblemen der Digitalisierung und den Folgen auseinandersetzen, um dann gesellschaftlich die richtigen Weichen zu setzen. Das betrifft alle Bereiche: die Politik, das sozialen Leben, aber auch die Ökonomie.

TF: In welche Richtung könnte diese Entwicklung gehen?

Götz Werner, der Gründer von DM , beschrieb 2008 in seinem Buch ‘Grundeinkommen für alle’ folgende These: Wir schaffen alle Steuern ab, jeder bekommt ein bedingungsloses Grundeinkommen – ob er arbeitet oder nicht. Man kann sich etwas dazu verdienen – aber man kann auch ohne Arbeit leben.
Ich glaube, dass wir uns über das Grundeinkommen für alle schon sehr bald Gedanken machen werden.

TF: Das heisst es ist keine Evolution mehr, sondern wir befinden uns schon am Sprung zur Revolution?

Die erste Stufe, war die Erfindung der Dampfmaschine: die industrielle Revolution. Die zweite der elektrische Strom und Ottomotor und die dritte Stufe ist die digitale Revolution. Diese Entwicklung ist nicht evolutionär. Darwin hat gesagt: Evolution passiert in Millionen Jahren. Da spielen ein paar Jahre rauf oder runter gar keine Rolle.
In der digitalen Evolution/Revolution sind Jahre maßgeblich. Das iPhone z.B. ist jetzt 6 Jahre alt. Vorher gab es gar kein Smartphone. Die Änderungen geschehen innerhalb von Monaten und Jahren. Das heißt die Zeit, die schneller läuft als wir in der Evolution gewohnt sind, ist das Problem.

www.neuland.me