Elisabeth Scharang

TF: Wie ist es dazu gekommen, dass Du die Doku ‘Kick Out Your Boss’ machen wolltest?

Ich bin vor 3 Jahren auf einen kurzen Artikel über Ricardo Semler gestoßen, dessen Arbeitsmodell ich nicht kannte, das mich aber gleich angesprochen hatte. Ich habe vor allem spannend gefunden, dass so ein Konzept, nämlich ein auf Konsens basierendes Arbeitsmodell, schon so lange, nämlich über dreißig Jahre, bei SEMCO funktioniert. Zeitgleich kam es im ORF zum ersten Zusammenschluss der freien MitarbeiterInnen, da die Gehaltssituation einfach miserabel war. Ich konnte sehen wie es Kollegen und Kolleginnen geht, wie sie mit Angst und Unsicherheit umgehen; und ich kenne das auch von mir selbst. Also habe ich mich auf die Suche nach Lösungen gemacht und angefangen, mich mit anderen Formen der Zusammenarbeit auseinanderzusetzen. Ich wollte ganz bewusst keinen Film machen, der den Status Quo von allen Problemen zeigt. Denn dessen sind wir uns bewusst. Mein Ansatz war, zu zeigen, was es für Bewegungsmöglichkeiten gibt.

TF: Was konntest Du persönlich davon mitnehmen?

Ein wichtiger Punkt war das Gespräch mit Ricardo Semler in Brasilien. Wir haben mit ihm gar nicht soviel über seine Firma Semco gesprochen. Er hat von seinen Lernprozessen erzählt: wenn man eine Idee hat und sie mit anderen umsetzt, übernehmen diese Leute deine Idee und interpretieren sie auf ihre Art. Da muss man irgendwann loslassen und zulassen, dass die Leute ihre eigene Vorstellung und Möglichkeiten haben. Diese Vorstellung wird nie so sein wie deine, sondern es ist das, was die Leute gerne einbringen wollen. Denn sonst hätte Semco und das Modell des demokratischen Managements nicht funktioniert, man muss den Leuten ihren Raum lassen, zum Atmen, zum Leben und um ihre Kreativität einzusetzen.
Dieser Gedanken war sehr wichtig für mich und mein Filmprojekt. Den einzelnen Leuten, mit denen man arbeitet, ihren Raum zu geben ist nicht einfach. Aber wenn man es tut, bekommt man sehr viel zurück, nämlich die Ideen und die Kreativität der Menschen, und das ist immer wieder ein Geschenk.

Wichtig war auch die Auseinandersetzung, wie man mit Ambition so umgeht, dass man nachhaltig bei sich selbst bleibt.

Jetzt wo der Film fertig ist und es darum geht, ihn in die Welt zu bringen und den Kontakt mit dem Publikum herzustellen, habe ich das Gefühl, ich gehe immer wieder über meine Grenzen.

Wir hatten letzten Mittwoch eine Diskussion im Kino in Graz mit dem Titel: „Selbstständig – Lebst du deinen Traum oder wird der Traum zum Albtraum?“

Es gab eine rege Beteiligung der ZuschauerInnen an dem Gespräch und es hat sich angefühlt wie eine große Selbsthilfegruppe. Die Balance zu finden und die eigenen Kräfte richtig einzusetzen, ist ein Thema, das viele Menschen betrifft.

TF: Wo und wann können wir ‘Kick Out Your Boss’ sehen?

Wir haben uns überlegt, auf welche Art wir den Film ins Kino bringen wollen. Die Kinobesucherzahlen des letzten Jahres waren schlecht, die Kinobetreiber sind sehr vorsichtig geworden, auf der anderen Seite gibt es eine sehr große Anzahl an Filmen, die jedes Jahr produziert werden. Die Konkurrenz ist also sehr groß. Ich wußte, dass dieser Film eine Diskussionsgrundlage sein soll, also Teil eines großen Diskurses, der nicht mit einmal 90 Minuten abgehandelt ist. Also haben wir schon vor Drehbeginn eine Online Plattform ins Leben gerufen, auf der Menschen über sich und ihre Arbeit erzählen. Außerdem haben wir uns entschieden keine Kinopremiere sondern eine Onlinepremiere zu machen, d.h. wir haben in Kooperation mit dem Radiosender FM4 persönliche Einlogg-Codes verlost und die Leute konnten sich am 5.Mai zwischen 19h und 24h Uhr mit diesem Code den Film gratis ansehen und zwar überall auf der Welt.

Ich war abends im Studio und habe das Publikumsgespräch nach der Premiere von 20:30 bis 24.00 Uhr im Chat geführt und Fragen beantwortet. Das war eine wirklich gute Erfahrung und ich musste mir nicht überlegen, welches Kleid ich anziehe!

TF: Der Film ist ja mittlerweile Teil eines Projekts geworden, was sind die weiteren Schritte?

Zurzeit zeigen wir den Film in Graz im KIZ RoyalKino und schließen eine Diskussion zu vier verschiedenen Themen an vier Abenden an.

Wir sind mit der Arbeiterkammer, der Wirtschaftskammer und Industriellen Vereinigung in Kontakt getreten. Hier mussten wir aufgrund des Filmtitels: ‘Kick Out Your Boss’ erst mal Überzeugungsarbeit leisten und erklären, dass das kein Angriff auf Unternehmer ist sondern wir den Dialog suchen zu einem Thema, das alle betrifft.

Zusätzlich bauen wir die Plattform weiter aus. Wir sind 6 Personen, die aus unterschiedlichen Bereichen kommen, jeder schreibt, was ihm oder ihr wichtig erscheint. Das Herzstück sind Interviews, bzw. Porträts von Menschen, die über ihre Arbeit erzählen, über das was sie glücklich macht, über das was ihnen Stress bereitet. Über das, was sie gelernt haben und was sie jetzt tun. Wir stellen auch die Frage: Würdest du arbeiten, wenn du nicht müsstest?

Ein weiteres Thema ist: Wie geht man mit Geld  und mit Erfolg um?

Wir haben ein kleines Budget für unsere Plattform, die Autorinnen stellen nach eigener Einschätzung des Aufwandes die Höhe des Honorars. Es ist eine komplett freie Art des Arbeitens, weil man nichts im klassischen Sinne verkaufen muss; der Wert und Mehrwert liegt in den Begegnungen mit den Menschen, die wir interviewen, die ihrerseits einen raum für Reflexion bekommen, der außerhalb des Arbeitslebens stattfindet, also von niemandem bewertet wird. Die Erkenntnis, dass alle Beteiligten davon wirklich profitieren auf eine Art, die du gar nicht bezahlen kannst, ist irrsinnig schön.

www.kickoutyourboss.com