Mag. Gerhard Hirczi, Geschäftsführer Wirtschaftsagentur Wien

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‘Aus heutiger Sicht würde ich meinen, dass Wien im Bereich Artificial Intelligence, Cybersecurity, Blockchain oder Open Data Chancen hat, auch international eine Vorreiterrolle einzunehmen.’, sagt Gerhard Hirczi, Geschäftsführer Wirtschaftsagentur Wien, deren wichtigste Aufgabe es ist, den Wirtschaftsstandort Wien zu fördern. Das geschieht einerseits in Form von nicht-rückzahlbaren Zuschüssen in Höhe von 30 bis 40 Millionen € pro Jahr, andererseits durch Immobilienimpuls-Projekte sowie unternehmensbezogene Services. So möchte man zum Beispiel an den Erfolg des Ökosystems Life Sciences anschließen und arbeitet daran, ähnliche- Ökosysteme, etwa im Bereich Innovative Production und  Industrie 4.0. aufzubauen. Weiters will man sich für langfristigen Erfolg auf bestimmte Spitzenthemen fokussieren.

Im Sinne des Taskfarm Konzepts wurde Gerhard Hirczi von Helmut Blocher, Geschäftsführer Succus Gmbh, auf das Interview eingeladen. 

Welche Schwerpunkte setzen Sie in den nächsten Jahren ?

Gerhard Hirczi: Wir sind als Wirtschaftsagentur Wien für die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes verantwortlich. Wir unterstützen bestehende Unternehmen und versuchen neue internationale Unternehmen nach Wien zu bringen. Die Bedeutung dieser Aufgabe hat sich in den letzten Jahren verstärkt, da Wien internationaler geworden ist. Wien ist eine der am schnellsten wachsenden Städte in Europa geworden und dieses Wachstum ist natürlich auch mit einem größeren Maß an Internationalität verbunden. 

Unser Job ist es auch, die Visibilität von Wien als Wirtschaftsstandort zu erhöhen. Das ist eine schöne, aber keine ganz einfache Aufgabe. Und zwar nicht deshalb, weil Wien in diesem Bereich zu wenig zu bieten hätte, sondern, weil der Brand von Wien als Welthauptstadt der Kultur,  der Musik und der historischen Tradition so stark ist, dass dadurch nicht selten die wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Stärken überlagert werden.
Doch gerade hier hat es in den letzten 10-15 Jahren eine beeindruckende Entwicklung gegeben. Wien kann durchaus als ein Hidden Champion betrachtet werden. Die Volkswirtschaft von Wien ist zum Beispiel so groß wie die Volkswirtschaften von Kroatien und Slowenien zusammen. Das innovative Milieu in der Stadt hat sich exponentiell entwickelt, es leben und arbeiten derzeit  45.000 Forscherinnen und Forscher in Wien. Wenn man das mit der Einwohnerzahl von Städten vergleicht, wäre das die Größe von Wiener Neustadt und die 11. größte Stadt in Österreich. Wir sind mit 200.000 Studenten die größte Universitätsstadt im deutschsprachigen Raum und eine der größten in Zentral- und Osteuropa. Für ein innovatives Milieu sind die Universitäten naturgemäß enorm wichtig, da man durch sie über eine gut gefüllte talent-pipeline verfügt. Ich bin überzeugt, dass in den nächsten Jahrzehnten das entscheidende Wettbewerbskriterium nicht der größte  Steuerbonus oder die höchste Förderung oder das billigste Grundstücke sein wird. Die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal wird DER Erfolgsfaktor für Unternehmen und Regionen werden.

Was sind Ihre gegenwärtigen Herausforderungen?

Gerhard Hirczi: Unsere Mission ist es, auch dieses „andere“ Wien bekanntzumachen. Den Menschen zu zeigen, dass Wien eine Stadt der Forschung, der Wissenschaft und eine Stadt der jungen, dynamischen Unternehmen geworden ist. Wie das funktionieren kann, sieht man am Beispiel der startups recht gut: Wien war sicher nicht unter den ersten startup Städten in Europa befindet sich mittlerweile aber auf einer Art Überholspur. Die Wiener startups werden jährlich mehr, sie werden jährlich stärker und international wettbewerbsfähiger. Und Wien ist gerade dabei, sich im CEE-Raum als ein Hub zu etablieren.

Eine unserer Kernaufgaben, fast so etwas wie die Königsdisziplin, ist die Förderung der Entstehung von Ökosystemen. Das heißt, dass wir versuchen, ein möglichst starkes, großes Netzwerk von Industrieunternehmen, KMUs, Startups, Universitäten und angewandter Forschung zusammenzubringen und durch die sich daraus ergebenden Synergien das Ökosystem in Summe stärker und nach außen sichtbar zu machen.
In den letzten 20 Jahren war diese Strategie bei den Life Sciences sehr erfolgreich. Große Unternehmen wie Boehringer Ingelheim sind in Wien ansässig. Dazu gibt es zahlreiche Forschungsinstitute, die Akademie der Wissenschaften, Christian Doppler Labors und Hunderte Startups, die sich mittlerweile aus den Universitäten und großen Unternehmen heraus gegründet haben. Wien befindet sich damit unter den europäischen Top Ten Städten im Bereich Life Sciences mit 40.000 Beschäftigten und 12 Milliarden € Wertschöpfung pro Jahr. Vieles von dieser Entwicklung ist zustande gekommen, weil es Interaktion zwischen unterschiedlichen Playern gegeben hat und nicht weil jeder versucht hat, sein eigenes Süppchen zu kochen.Hier engagieren wir uns klarerweise intensiv weiter, denn das ist ein eindeutiger USP der Stadt. Und wir arbeiten gerade daran, ein ähnliches Ökosystem im Bereich Innovative Production, Industrie 4.0. aufzubauen, weil wir glauben, dass das eine Riesenchance für Wien ist. Die erste österreichische Pilot Fabrik für Industrie 4.0 steht zum Beispiel seit drei Jahren in der Seestadt Aspern und das EIT, das European Institute of Technology, wird sich mit einem Manufacturing Hub dort ansiedeln.

Welche Entwicklungen werden in den nächsten 10 Jahren bedeutend?

Gerhard Hirczi:

Ich glaube, dass wir mit dem Thema Digitalisierung und ihren technischen und sozialen Implikationen erst völlig am Anfang stehen. Wenn man die Digitalisierung, die Smartness von Städten zum Beispiel betrachtet, dann sieht man, dass es nicht wenige Städte und Länder auf der Welt gibt, die Digitalisierung und Smart City ausschließlich unter dem technologischen Aspekt sehen. Wir glauben, dass diese Sichtweise zu kurz gegriffen ist und denken, dass Technologie das Leben des Menschen zu verbessern hat und dass sie den Menschen dienen sollte und nicht umgekehrt. Wien stellt den Menschen in der Mittelpunkt, und nicht zuletzt deshalb wurde die Smart City-Strategie von Wien schon zweimal hintereinander von Roland Berger zur besten der Welt gekürt.
Die Stadt stellt sich gerade die Frage: Wie kann eine Art von digitalem Humanismus aussehen, die Verbindung zwischen dem, was die Digitalisierung uns technologisch bringt, und dem, was der Bedürfnislage eines aufgeklärten Menschen und einer aufgeklärten, demokratischen Gesellschaft entspricht.
Es gibt Beispiele in anderen Ländern, wo das Thema Digitalisierung stark darauf ausgerichtet istmöglichst viel Information über einzelne Individuen in Erfahrung zu bringen , um in weiterer Folge diverse Arten von Maßnahmen auf Basis dieser Daten vornehmen zu können. Das ist nicht unsere Idee, nicht unsere Zielsetzung und es wird sicherlich nicht der Wiener Weg sein.

Als Standort wird man langfristig nur erfolgreich sein, wenn man sich auf bestimmte Spitzenthemen fokussiert. Aus heutiger Sicht würde ich meinen, dass Wien über seine heutigen Stärkefelder hinaus im Bereich Artificial Intelligence, Cybersecurity, Blockchain und Open Data Chancen hat, auch international eine Vorreiterrolle einzunehmen. Derzeit ist beispielsweise ein Zentrum für Cybersecurity in Wien im Aufbau. Dafür haben sich drei Universitäten, die TU Wien, die Universität Wien und IST-Austria in Klosterneuburg, zusammengetan, um mit Unterstützung der Wirtschaftsagentur Wien die Kräfte zu bündeln. Und unter Federführung der WU Wien etabliert sich gerade eines der größten Blockchain-Forschungszentren der Welt.

Welche Jobs wird es in Zukunft geben, die heute noch keinen Namen haben?

Gerhard Hirczi:

Je mehr die Disziplinen miteinander verschmelzen, umso wichtiger wird es, die jeweiligen Fachsprachen zu beherrschen: Der Handwerker muss z. B. die Fachsprache der „Digitalisierer“ zumindest verstehen (besser sogar: sie sprechen), um ein Produkt herstellen zu können, das beide Elemente in sich trägt. Das muss auch im Ausbildungssystem abgebildet werden.
Ein gutes Beispiel für eine solche gelungene Transformation ist das Wiener Familienunternehmen EVVA, das mit seinen 800 Mitarbeitern mehr als 600 Mio. Einzelteile pro Jahr produziert . Die Digitalisierung hat Umstellungen auf verschiedensten Ebenen gebracht: Das Produkt selber ist digital – kein Schlüssel, sondern ein Chip. Früher wurden Zylinder ausgetauscht, heute werden digitale Zugangsberechtigungen per Mausklick gesperrt oder neu eingerichtet. Es sind also Produkt und Geschäftsmodell neu. Um das zu stemmen, musste die Firma neue Kompetenzen aufbauen. Aus einem Unternehmen, das in erster Linie Mechaniker angestellt hatte, wird immer mehr ein IT Unternehmen. 

Auch die Rolle kreativer Unternehmerinnen verändert sich gerade nachhaltig: Mit Industrie 4.0 und Digitalisierung kommt die Produktion selbst ganz nahe an die Kreativen heran – es kann sogar so weit gehen, dass die Kreativen selbst zu Produzenten werden.
Aber auch Themen der Risikominimierung und Gewinnteilung werden uns häufig begegnen, genauso wie non-hierarchisches Arbeiten, Cross-Mentoring und Open Source.

viennabusinessagency.at

About: 

Gerhard Hirczi ist seit 2009 Geschäftsführer der Wirtschaftsagentur Wien. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre in Graz begann er 1985 seine berufliche Laufbahn in einem Wiener Consulting-Unternehmen. Es folgten Stationen in der Wirtschaftssektion des Bundeskanzleramtes und danach als wirtschaftspolitischer Berater im Kabinett des früheren Bundeskanzlers Franz Vranitzky. Von 1997 bis 2000 war Gerhard Hirczi als Generalsekretär der Siemens AG Österreich tätig, danach als Konzernpersonalleiter des Siemens Clusters Zentral- und Osteuropa mit über 40.000 Beschäftigten.