Prof. Dr. Gero Miesenböck, Waynflete Professor of Physiology und Director des Centre for Neural Circuits and Behaviour an der Universität Oxford

Die Optogenetik erlaubt es, genetisch identifizierte Zellen durch Licht zu steuern. Gero Miesenböck, Waynflete Professor of Physiology und Director des Centre for Neural Circuits and Behaviour an der Universität Oxford, erforscht an Fruchtfliegen grundlegende Fragen der Gehirnfunktion, beispielsweise die Regulation des Schlaf-Wachrhythmus. Diese Einsichten könnten es ermöglichen, nach massgeschneiderten Substanzen zu suchen, welche die Funktion bestimmter Schlüsselmoleküle in diesen Zellen gezielt beeinflussen. Solche neuen Medikamente haben das Potenzial, potenter und ärmer an Nebenwirkungen zu sein als derzeit erhältliche Pharmazeutika.


Light Simulation 

Sie gelten als Begründer der Optogenetik, was kann man sich darunter vorstellen?

Prof. Dr. Miesenböck: Optogenetik ist eine Technologie, die es erlaubt, genetisch identifizierte Zellen im intakten Gehirn durch Licht zu steuern. Die zwei essentiellen Bausteine dieser Technologie sind die Genetik, die benutzt wird, um die Zellen so zu verändern, dass sie auf Licht empfindlich reagieren, und die Optik, die es erlaubt, die elektrischen Impulse der Nervenzellen durch Licht zu steuern.
Wir haben in unseren Augen lichtempfindliche Zellen. Das Grundprinzip der Optogenetik ist es, Zellen, die normalerweise nicht lichtempfindlich sind, zu Fotorezeptoren zu machen. Dazu transplantieren wir genetisch lichtempfindliche Moleküle, ähnlich den Lichtrezeptoren in unseren Augen, in diese Zellen. Für unsere Experimente verwenden wir vornehmlich Fruchtfliegen, da wir hier die Möglichkeit haben, viele genau definierte Nervenzelltypen genetisch anzusteuern. Wenn man das ganze Tier beleuchtet, dringt genügend Licht durch das äußere Chitinskelett, um auch Nervenzellen tief im Gehirn zu aktivieren.
Das Tier wird in der Keimbahn genetisch so verändert, dass bestimmte Zellen im Gehirn diese Lichtrezeptoren enthalten und somit optisch steuerbar werden.
Das ist der Trick – die Genetik löst das ‘Stecknadel im Heuhaufen Problem’, unter den 100 000 Zellen bei der Fliege (oder den 100 Milliarden Zellen beim Menschen) die richtigen Neuronen herauszufinden und durch Licht anzusteuern.
Verschiedene Typen von Nervenzellen im Gehirn schalten bestimmte Gene ein und aus. Wir koppeln die Produktion der lichtempfindlichen Moleküle an dieselben genetischen Schalter, welche die Identität der Zellen bestimmen. Dadurch ist es möglich, dass man nur ganz bestimmte Zellen ansteuert, wie zum Beispiel bei der Fliege die Zellen des Flugmotors. Oder beispielsweise auch Zellen, die für das Einschlafen oder Aufwachen verantwortlich sind, die für das Empfinden, dass eine Handlung zu einer Belohnung oder Bestrafung geführt hat, zuständig sind oder auch für den Ausdruck des sexuellen Balzverhaltens.

Ist es medizinisch möglich, aufgrund der Beeinflussung der Zellen auch beispielsweise eine Suchtprävention vorzunehmen?

Prof. Dr. Miesenböck: Von der direkten medizinischen Anwendung sind wir noch ein Stück entfernt, denn ein wichtiger Baustein dieser Technologie ist die genetische Veränderung. Das bedeutet, um die Forschungsergebnisse direkt beim Menschen einzusetzen, müsste man das menschliche Gehirn so verändern, dass bestimmte Zellen lichtempfindlich werden. Das ist eine Form der Gentherapie. Doch die zur Optogenetik nötigen genetischen Eingriffe unterscheiden sich wesentlich von den ‘Standardformen’ der Gentherapie. Deren Ziel ist es, ein defektes menschliches Genprodukt durch ein korrektes Genprodukt derselben Art zu ersetzen.
Im Fall der Optogenetik würde man ein fremdes Genprodukt, nämlich dieses lichtempfindliche Molekül, einführen. Das ist komplizierter als die Reparatur eines defekten Gens.

Das Große Potenzial der Optogenetik liegt zur Zeit in der Identifikation der Zellen, die für bestimmte Aspekte unseres Denkens oder Verhaltens verantwortlich sind. Wir erforschen das, indem wir die Zellen ein- und ausschalten und dann die Konsequenzen dieser Intervention auf das Verhalten oder das Denken beobachten.

Was wären hier Anwendungsgebiete?

Prof. Dr. Miesenböck: Derzeit arbeiten wir an der neuronalen Steuerung von Schlaf-Wach Zuständen und haben Zellen im Fliegenhirn, die ganz deutliche Parallelen zum Gehirn des Menschen haben, identifiziert. Wenn wir diese Zellen ein- und ausschalten, versetzen sie das Tier entweder in Dauerschlaf oder halten es ständig wach. Wenn man die normale Funktion dieser Zellen und die normalen Signale, die diese Zellen ein- und ausschalten, bestimmt, erhält man Erkenntnisse über die biologische Rolle des Schlafs.
Die Experimente bringen Verständnis darüber, wo man medikamentös ansetzen muss. In den meisten Fällen weiß man heute eigentlich gar nicht, wo die wirksamsten Angriffspunkte für medikamentöse Therapien sind und welche Zellen wirklich die Entscheidenden sind. Wenn man wüsste, was die wichtigsten Zellen und die wichtigsten Moleküle in diesen Zellen sind, dann könnte man natürlich nach maßgeschneiderten Substanzen suchen, die die Funktion dieser Moleküle in diesen Zellen gezielt beeinflussen. Diese Medikamente wären viel potenter und auch ärmer an Nebenwirkungen als derzeit erhältliche Pharmazeutika.

An welchen Tieren forschen Sie?

Prof. Dr. Miesenböck: Mein Labor beschäftigt sich mit Fruchtfliegen. Das Ziel dieser Forschung ist, fundamentale Gehirnprozesse zu entschlüsseln, die allen Tieren gemeinsam sind. Wie erwähnt gilt dies beispielsweise für den Schlaf-Wach Schalter, der in ganz ähnlicher Weise funktioniert wie beim Menschen, aber bei Fliegen um vieles einfacher zu erforschen ist. ‘Einfache’ Systeme wie die Fruchtfliege erlauben grundlegende Einsichten in biologische Funktionen, die dann aber generelle Gültigkeit für andere Lebewesen haben.

 

Wie denken Sie wird sich die Optogenetik in zehn Jahren weiterentwickelt haben?

Prof. Dr. Miesenböck: Im nächsten Jahrzehnt werden wir einen kompletten Zensus der verschiedenen Nervenzelltypen im Gehirn erstellen. Derzeit ist es immer noch eine offene Frage, wie viele Klassen von Neuronen es gibt und welche Rollen diese verschiedenen Klassen von Nervenzellen in den verschiedenen Gehirnfunktionen ausüben. Wir werden mehr über diese Rollen wissen, indem wir die verschiedenen Zelltypen gezielt ein- und ausschalten und immer genauere Verhaltensmessungen vornehmen. Die große Lücke – und die wird weder durch Technologie noch durch immer größere Datenmengen zu schließen sein – ist jedoch ein theoretisches Verständnis des Gehirns. Derzeit gibt es nicht einmal ein unvollständiges theoretisches Gebäude, an dem sich unsere experimentellen Forschungen orientieren könnten. Wir stochern noch viel mehr im Dunkeln herum als zum Beispiel die Physiker. Ich glaube natürlich, dass es auch allgemeine Prinzipien in der Biologie geben wird und vor allem auch in der Neurobiologie. Wir werden beispielsweise wissen, wie bestimmte Schaltkreise gebaut sein müssen, damit sie bestimmte Operationen, wie ein Signal zu verstärken, zwei Signale zu vergleichen, ein Signal über Zeit hinweg zu mitteln und überhaupt Zeit im Gehirn zu kodieren, durchführen können. Ich glaube, die fundamentalen Fragen sind: Was sind die kanonischen Schaltkreise, die nicht nur unserem Gehirn, sondern jedem Gehirn ermöglichen, diese Art der mathematischen Operationen vorzunehmen.

Was ist Ihr langfristiges Forschungsziel?

Prof. Dr. Miesenböck: Mein Traum ist, dass man die meisten der Vorgänge, die heutzutage in der Domäne der Psychologie oder der Kognitionswissenschaften angesiedelt sind, auf biophysikalische Prozesse reduziert. Zu verstehen, welche physikalischen Vorgänge im Gehirn diesen mentalen Ereignissen zugrunde liegen. Die meisten Neurowissenschaftler würden zustimmen, dass unser gesamtes Selbstverständnis, unsere emotionale und geistige Welt aus physikalischen Vorgängen in unserem Gehirn entsteht. Es ist ein materialistisches Weltbild: unsere Intelligenz entspringt physikalischen Vorgängen in der Materie unsres Gehirns. Aber wie genau dieser Sprung von der unintelligenten Materie zur Intelligenz vor sich geht – das ist die große Frage, die wir zu beantworten suchen.

Würde diese Erkenntnis nicht die Psychologie eliminieren und alles, was wir über zwischenmenschliche Beziehungen gelernt haben, für null und nichtig erklären?

Prof. Dr. Miesenböck: Ich glaube nicht, dass es sie eliminieren würde oder den Reichtum unserer zwischenmenschlichen Beziehungen in irgendeiner Weise beeinträchtigen würde. Im Gegenteil, ich denke, es würde uns immens bereichern und unser Selbstverständnis grundlegend verändern, wenn wir wüssten, welche physikalischen Vorgänge unserer Psychologie zugrunde liegen.

About:
Gero Miesenböck (* 15. Juli 1965 in Braunau am Inn) ist ein österreichischer Neurophysiologe. Er gilt als einer der Pioniere des wissenschaftlichen Forschungsgebiets der Optogenetik. Miesenböck studierte an der Universität Innsbruck Medizin. Er wurde 1991 sub auspiciis Praesidentis rei publicae mit der Dissertationsschrift Relationship of triglyceride and high-density lipoprotein metabolism promoviert. Als Postdoktorand arbeitete er von 1992 bis 1998 bei James Rothman am Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York City.

1999 erhielt er eine Assistenzprofessur für Zellbiologie und Genetik und für Neurowissenschaften an der Cornell University in New York; 2004 ging Miesenböck als Associate Professor für Zellbiologie und für Zelluläre und Molekulare Physiologie an die Yale University School of Medicine in New Haven, Connecticut. 2007 erhielt Miesenböck einen Ruf an die University of Oxford als Waynflete Professor für Physiologie. 2011 wurde er Gründungsdirektor des dortigen Centre for Neural Circuits and Behaviour.

Ab 1999 legte Miesenböck die Grundlagen der Optogenetik, mit deren Hilfe sich Neuronen mittels Licht selektiv aktivieren lassen. Miesenböck befasst sich mit neuronalen Erregungskreisen, die er überwiegend am Modellorganismus der Drosophila melanogaster studiert. Hierbei sucht er nach den elementaren Schaltkreisen, die Vorgänge wie Informationsintegration über längere Zeitintervalle, die Anwendung von Schwellenwerten bei der Entscheidungsfindung, Fehlersignale oder Informationsspeicherung realisieren. Optogenetische Techniken erlauben dabei, mit hoher Genauigkeit bestimmte Gruppen von Neuronen zu aktivieren, die für bestimmtes Verhalten verantwortlich sind, und Erregungskreise von Neuronen zu erkennen und Hypothesen über ihre Funktionsweise zu testen.