Afrika ist uns voraus. Eine Entwicklung, die in Europa für lange Zeit weitgehend unbemerkt geblieben ist. In der Mobilfunkbranche kannte man das Phänomen bereits seit vielen Jahren, jetzt schlägt es sich auch in anderen Branchen nieder.
In ländlichen Gegenden in Afrika kam es nie zur flächendeckenden Verlegung von Kupferdraht um alle Haushalte ans Telefonnetz anzubinden. Mit dem Aufkommen des Handys übersprang die technologische Entwicklung einfach diesen Schritt und fing gleich an, Menschen mittels Mobilfunk zu vernetzen. Die meisten Personen in Afrika hatten niemals ein Festnetz.
2007 kam es zu einem weiteren Game Changer in Kenia. Mobile Money, aufladen von Kleinstbeträgen auf das Handy, ermöglichte es plötzlich, dass auch Menschen ohne Bankkonto nicht nur mittels Handy bezahlen sondern auch landesweit Geldbeträge an Privatpersonen verschicken konnten.
Jetzt steht der nächste Technologiesprung bevor. 70% der ländlichen Bevölkerung hat keine Elektrizität sondern verwendet nach Sonnenuntergang Kerosinlampen. Unternehmen wie Pawame verkaufen nun kleine Solarsysteme an diese Personen. Mittels Mobile Payment wird Ratenzahlung möglich und der afrikanische Kontinent überspringt abermals die Anbindung an ein Netz, diesmal das Stromnetz. Die Energie wird gleich sauber und mit Solarsystem auch gratis von der Sonne gewonnen. Taskfarm hat Majd Chaaya, CTO/Co-Founder Pawame und Hannes Eckmayr, Deputy Sales Director am Pioneers Festival getroffen.
Im Sinne des Taskfarm Konzepts wurde Pawame von Blaha Büromöbel auf das Interview eingeladen.
Interview mit Friedrich Blaha
Euer Hauptprodukt ist ein kleines 10W Off Grid Solar System, der in ländlichen Gegenden in Kenia verkauft wird?
Majd Chaaya:
Ja genau. Es gibt in Afrika einige grundlegende Entwicklungsherausforderungen. Eine davon versuchen wir zu lösen. 70% der afrikanischen Bevölkerung lebt noch immer im Dunkeln. Das heißt sobald die Sonne untergeht, ist die meistgenutzte Lichtquelle noch immer die traditionelle, ineffiziente, teure und schädliche Kerosinlampe. Wir versuchen diese Kerosinlampe durch unsere Solar Systeme zu ersetzen.
Leistbar werden diese Solarsystem durch bezahlen mit “mobile money”. In Kenia wurde 2007 von Vodafone und Safaricom, dem größten Mobilfunkanbieter in Kenia, eine Game Changer Idee im Mobile Payment entwickelt: Mpesa (M für mobile und pesa heisst Geld auf Swahili). In Kenia besitzen 85% der Menschen ein Handy, dass sie nicht nur zum Telefonieren sondern seit 2007 auch zum Bezahlen von Waren und Dienstleistungen brauchen. Menschen, die keine Kreditkarte und nicht einmal ein Bankkonto haben, können auf diese Art Geld mit ihrem Handy innerhalb ganz Kenia überweisen. Diese Innovation hat Financial Inclusion nach Afrika gebracht, und hat es auch Unternehmen ermöglicht, an dieser Technologie teilzuhaben und ihr Business Modell darauf aufzubauen.
Das Paradoxe an Kenia ist, dass 85% der Leute ein Handy (allerdings noch wenige Smartphones) haben, das sie täglich benutzen, aber nur 30% haben Elektrizität um dieses zuhause aufzuladen.
Das heisst, die Menschen haben zwar Handys, die sie täglich benutzen, aber sie müssen sie woanders aufladen, weil sie keinen Strom zu Hause haben?
Majd Chaaya: Ja. Viele Afrikaner, vor allem im ländlichen Bereich, commuten daher zwischen ihrer Hütte oder ihrem kleinen Häuschen in die Stadt und laden dort ihr Handy auf. Es entstehen für sie Transportkosten und Kosten für das Aufladen, das ist am Einkommen gemessen sehr teuer. Durch unsere Solarsysteme ersetzen wir die Kerosinlampe und bringen saubere Solarenergie in Hütten, die bisher keinen Strom hatten.
Was beinhaltet ein Solarsystem?
Majd Chaaya: Das Standard System ist ein 10 Watt Solarpanel. Es wird mit vier Lampen, einer Taschenlampe, einem Radio und einer Batterie sowie Handy Ladekabel geliefert.
Was kostet dieses Solarsystem Package?
Majd Chaaya: Ein Solarsystem kostet ca. 250 USD. Für eine durchschnittliche, ländliche, afrikanische Familie ist es kaum leistbar diese Summe auf einmal zu bezahlen.
Wie kann man sich eurer Produkt dann leisten?
Majd Chaaya: In der Praxis funktioniert das so: Man bezahlt eine Anzahlung von 25 USD, danach werden je nach Vereinbarung täglich, wöchentlich oder monatlich ungefähr 40c pro Tag via Mobile Payment, also mit dem Handy, zurückgezahlt. Das ist auch für eine ländliche, afrikanische Familie, leistbar. Diese Leute haben ein Einkommen von ungefähr 3 bis 4 USD am Tag. Sie geben meistens täglich Geld aus um Kerosin zu kaufen und bezahlen ungefähr jeden zweiten Tag für das Aufladen des Handys. Das sind im Monat ca. 15 USD. Bei unserem Solarsystem bezahlen sie 18 Monate lang ungefähr 13 bis 14 USD, danach hat man gratis Strom, solange das System funktioniert.
Woher bezieht ihr eure Systeme?
Majd Chaaya: Das Solarsystem besteht aus verschieden Komponenten. Die Solarpaneele werden in China produziert, das ist nach wie vor das Land, das am billigsten, aber auch am qualitativ hochwertigsten, produzieren kann. Fosera, ein deutsches Unternehmen mit Werk in Thailand, fertigt unsere Solarsysteme an und verschifft sie nach Kenia. Wir fokussieren auf den Vertrieb und die Datenanalyse.
Aufgrund dieser Ratenzahlung eröffnet sich ein weiteres Geschäftsfeld. Ihr habt Daten von Personen, die sonst kaum erfassbar sind, da sie nicht einmal ein Bankkonto haben. Das bedeutet auch, dass diese Menschen anhand eurer Daten plötzlich eine gewisse Art von Kreditwürdigkeit haben können?
Majd Chaaya: Genau. Dadurch, dass unsere Kunden unser System über Raten abbezahlen, bekommen wir über einen Zeitraum von 18 Monaten Payment Daten. Das heißt, wir wissen ganz genau, was sich z.B. eine Familie im ländlichen Kisumu (Westen Kenias) leisten kann und wie sie ihr Solarsystem zurückbezahlen. Wenn wir fast keine Zahlungsausfälle haben, stufen wir den Kunden als sehr kreditwürdig ein, und wir geben ein Credit Rating A. Das macht unser Businessmodell insofern interessant, weil wir durch den Credit Score in weiterer Folge upselling betreiben können und somit in Zukunft dem Kunden auch andere Produkte verkaufen können.
Welche Produkte werdet ihr anbieten?
Hannes Eckmayr: Die erste Produkterweiterung die wir anbieten, ist ein TV Upgrade. In der Praxis funktioniert das so, dass unser Tele Sales Team den Kunden kontaktiert und den Fernseher anbietet. Nach Einverständnis des Kunden, schicken wir unser Installateur Team, die das neue Solarsystem inkl. Fernseher beim Kunden installieren.
Welche Produkte wären hier noch interessant?
Hannes Eckmayr: Kühlschränke sind ein weiteres interessantes Produkt, genauso wie Micro Insurances und Micro Credits.
Du bist Österreicher, hast in vielen verschiedenen Städten gelebt und dich jetzt als Deputy Sales Director in Nairobi niedergelassen. Was ist so spannend an Afrika?
Hannes Eckmayr: Ich lebe mittlerweile seit eineinhalb Jahren in Nairobi und konnte persönlich noch nie so eine rasante Entwicklung in einer Stadt mitverfolgen, wie ich sie in Nairobi gerade erlebe. Es tut sich dort extrem viel. Es entstehen Coworking Spaces mit allen technischen Features und state-of-the-art Einrichtungen wo Entrepreneure aus der ganzen Welt an faszinierenden digitalen Lösungen arbeiten. Sehr oft sind diese Lösungen eng mit Entwicklungsherausforderungen verwoben. Gleichzeitig werden in Nairobi extrem viele Wohngebäude und Hotels errichtet und konstant die Infrastruktur verbessert.
Kannst Du noch weitere Unternehmen nennen, die versuchen Entwicklungsherausforderungen zu überkommen?
Hannes Eckmayr: Zipline ist ein Unternehmen aus Ruanda, das zum Beispiel mit Drohnen Bluttransfusionen oder Notfall-Impfstoffe transportiert. Wenn z.B. eine schwangere Frau an einer Geburt Nachblutung leidet, fliegt heutzutage in Ruanda eine Drohne hinaus, die eine Bluttransfusion mit einem Fallschirm vor die Füße des Doktors transportiert (durch GPS Lokalisierung) und damit Leben rettet. In Europa würde so etwas nicht funktionieren, weil diese Drohne höchstwahrscheinlich nicht fliegen dürfte. Das heißt, einer der ersten Drohnen Flughäfen der Welt entsteht in Ruanda in Afrika, wer hätte das gedacht? Ein weiteres Beispiel: In Afrika wird extrem viel Essen weggeworfen, weil viele Bauern am Land keinen Zugang zu einer durchgängigen Kühlkette haben. Es gibt mittlerweile Unternehmen in Afrika, die Bauern Solar-gekühlte Container zur Verfügung stellen. Der Bauer kann dort seine Produkte kühlen, reduziert somit Lebensmittelabfälle und profitiert gleichzeitig durch ein höheres Einkommen.
www.pawame.com
About:
Majd Chaaya
ist Mitgründer und CTO von Pawame, einem Unternehmen für Energiezugang und Mikrofinanzierung, das netzunabhängige Solarenergielösungen für Haushalte mit niedrigem Einkommen im ländlichen Kenia anbietet. Majd ist verantwortlich für die Qualifizierung von Produkten, die die finanzielle und zeitliche Armut lindern, sowie für die Optimierung von Geschäftsprozessen, Kundenbindung und Kreditdaten für das Unternehmen durch Softwarelösungen.
Hannes Eckmayr
arbeitet als Sales Director bei dem in Kenia ansässigen netzfernen Solarenergie-Startup Pawame. Zu seinen Hauptaufgaben gehört die Koordination eines 150-köpfigen Außendienstes vor Ort, der das Umsatzwachstum sicherstellt, sowie die zeitnahe Installation der Pawame Solar Home Systeme.