Dr. Birgit Feldhusen,
Gründerin Organizing Future und Lektorin für Organisationsentwicklung, FH der Wirtschaftskammer Wien

Unternehmen finden sich vermehrt in einem komplexen Umfeld, in denen die vorhersehbaren Entwicklungen abnehmen. Wie ist es möglich, als Organisation schnell zu reagieren um erforderliche Anpassungen an veränderte Situationen vorzunehmen? Dr. Birgit Feldhusen, Gründerin Organizing Future und Lektorin für Organisationsentwicklung, FH der Wirtschaftskammer Wien, rät Unternehmen sich ihres ‘Collective Mind’ bewusst zu werden und diese Qualität zu kultivieren. 
Dass der Zugriff auf ein gut funktionierendes kollektives Bewusstsein auch Unternehmenserfolg bringt, beweist eine MIT Studie, die auch von Google weiterentwickelt wurde. In rein über auf Inhalten aufgebauten Organisationen entsteht kein ‘Collective Mind’. Eine Organisation, die durch Regeln und Ansagen aufgebaut ist, ist ‘dumm’. ‘Dumm’ deshalb, weil sie nur in dieser einen Situation handeln kann. Sobald sich die Situation verändert, weiss sie nicht mehr was sie tun soll. Bei einem ausgeweiteten ‘Collective Mind’ können sich die Mitarbeiter in jeder Situation verändern und die angemessene Haltung annehmen.

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Credits: Dr. Birgit Feldhusen

Warum ist es notwendig, dass Unternehmen an ihrer Organisation und an ihren Führungsansätzen arbeiten?

Dr. Birgit Feldhusen: Viele Mechanismen und Managementpraktiken stoßen an ihre Grenzen und funktionieren nicht mehr, weil das Umfeld viel flexibler ist als die Organisation selbst und viel dynamischer als die Organisation flexibel. Um diese Herausforderungen meistern zu können, heißt es sich weiter zu entwicklen, neue Strategien der Zusammenarbeit zu entwerfen und den Collective Mind, d.h. den gewohnten Denk- Kommunikations- und Handlungsraum einer Organisation zu erweitern.

Wie kann man den ‘Collective Mind’ in der Organisationsentwicklung zu Tage bringen und nutzen?

Dr. Birgit Feldhusen: Organisationsentwicklung ist als Begriff viel zu kurz gegriffen. Die Idee ist, wie man generell das Zusammenwirken von Menschen nicht nur anders denkt sondern komplett anders begreift.
Das derzeitige Bild von Organisation, das die Grundlage von Organisationsentwicklung ist, ist ein Kausales. Zunächst wird analysiert und Schwachstellen ausgelotet, um diese dann mit gewissen Methoden oder Techniken zu beheben.
Ich sehe Organisation nicht als eine Maschine an der man ein Rad drehen kann, sondern als einen Geist, der dadurch geschaffen wird, dass Menschen miteinander umgehen, einander begegnen und das auf ganz verschiedene Art und Weise.
Du kennst vielleicht den Satz: ‘Da ist etwas zwischen uns.’
Wenn Menschen miteinander in Beziehung treten, miteinander arbeiten, reden, Gesten machen, dann entsteht etwas zwischen ihnen – im positiven wie im negativen Sinn.
Dieses ‘dazwischen’ nennen viele in den unterschiedlichsten Disziplinen ‘Mind’ oder ‘Collective Mind’. Der Zwischenraum ist das, wo eine Organisation stattfindet. Hier wird eine Organisation über das tägliche Miteinander immer wieder neu ins Leben gerufen.
In einer klassischen Organisation ist es möglich, den Mitarbeitern durch Abbildungen in Organigrammen, Struktur nach Abteilungen, Vorschriften und Prozessabläufe eine gewisse Vorstellung davon zu vermitteln, was von ihnen erwartet wird. Mit dieser Vorstellung gehen sie dann in die Begegnung. Das Bild von Organisation immer wieder neu aushandeln zu lassen, wenn erforderlich, ist zwar schwieriger aber letztendlich sinnvoller und effektiver. Es erfordert allerdings eine hohe Aufmerksamkeit und Reflektiertheit.

Das heisst, die Überlegung der Arbeitsabläufe und Verantwortlichkeiten in einem neuen Organigramm ist nicht sinnvoll, wenn davor nicht auf die Begegnungsqualität der Menschen im Unternehmen geachtet wird.

Dr. Birgit Feldhusen: Genau. Es ist die Begegnungsqualität, aus der die jeweils passenden Abläufe und Verantwortlichkeiten entstehen, nicht andersherum. Das was zwischen Menschen geschieht, dieser Zwischenraum, hat ganz unterschiedliche Qualitäten. Je nachdem was mit der Organisation erzielt werden soll, kann man unterschiedliche Qualitäten fruchtbar machen und nähren.

Wie würdest Du diesen Zwischenraum erklären?

Dr. Birgit Feldhusen: Die Begriffe ‚Teamgeist‘ oder den ‘Spirit von Organisationen’, weisen in diese Richtung. In diesem Zwischenraum entsteht der Sinn des gemeinsamen Handelns, er ist Träger von Wissen, Organisation und somit von Handlungsfähigkeit. Es geht einen Schritt über die Vorgangsweise der klassischen Systemik in der Organisationsentwicklung hinaus, hier wird nur die Kommunikation untersucht, egal welcher Mensch kommuniziert. Ich ergänze das systemische Organisationsbild um den ganzen Aspekt von Kognition, Wahrnehmung und Bewusstsein des Einzelnen. Denn der Mensch und sein kognitives System spielt eine ganz entscheidende Rolle damit das Gesamtsystem funktioniert.

Wie würdest Du im Zuge dieser Herangehensweise eine Organisation verändern, denn das ist ja das Ziel, etwas besser zu machen. Wo setzt Du an?

Dr. Birgit Feldhusen: Vor dem Hintergrund der Nutzung des ‘collective Mind’ sehe ich mich als jemand, der grundsätzlich fragt: ‘Was ist eine Organisation?’ Der erste Schritt zur Verbesserung ist immer die Erkenntnis, die Sicht auf sich selbst. Kollektive Intelligenz entsteht durch die Qualität menschlicher Interaktion und ihres Organisationsprozesses. Mit der Anregung zur Selbstreflexion setze ich mich mit den Entscheidungsträgern und mit den Mitarbeitern von Organisationen auseinander um ihren Blick dafür zu weiten, in was für einem Raum wir überhaupt arbeiten. Denn ich arbeite nicht in einer Maschine sondern in einem kollektiven Bewusstseinsraum. Für diesen Blickwinkel ist es notwendig über unser bestehendes Welt- und Organisationsbild hinauszudenken. Wenn wir mit diesem Verständnis auf eine Organisation schauen, dann sehen wir die Ansatzpunkte über die  eine Organisation sich selber weiterentwickeln kann. Ich denke, es braucht nicht unbedingt Berater, die genau wissen, wie eine Organisation zu sein hat, sondern wir brauchen einfach nur Begleiter, die die Organisation in ihrem eigenen Reflektieren, ihrer Selbstreflexion begleiten.

Was ist der nächste Schritt nachdem diese Erkenntnis gewonnen wurde? Wie schaffe ich die tatsächliche Veränderung?

Dr. Birgit Feldhusen: Da gibt es ein ganz einfaches Mittel, das ist ‘das sich gegenseitig Beachten’. Ich nehme bewusst den Begriff ‘Beachten’ und nicht ‘Achtsamkeit’, denn der ist vom Buddhismus geprägt und hat eine ganz eigene Begriffswelt. Das Miteinander zu beachten, es zu gestalten und in den Fokus zu nehmen. Auf diese Art ist es möglich eine Organisation zu verändern. Nämlich in dem ich Empathie für das Gegenüber entwickle, indem ich ausgleichend zuhöre, also allen, die etwas beizutragen haben, zuhöre.
Mit dieser anderen Qualität wird eine veränderte Art der Zusammenarbeit erreicht, die nachweislich Einfluß auf die Ergebnisse in der Problemlösung von Gruppenarbeit hat.
Eine MIT Studie hat diese Herangehensweise zum ersten mal in Zahlen dargestellt. Das Ergebnis war, dass Teams und Gruppen dann umso intelligenter sind, je empathischer die Mitglieder aufeinander eingehen, je mehr sie vom anderen wissen – also zuhören – und je ausgeglichener alle Beteiligten einen Beitrag zu einer Lösung, zu einer Diskussion oder zu einer Aktion leisten.

Was wurde in der Studie erforscht?

Dr. Birgit Feldhusen: Es wurde mittels Regressionsanalysen aufgezeigt, dass zwei Faktoren maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die eine Gruppe bessere Lösungen entwickelt hat als die andere. Der eine Faktor wird ‘Social Sensitivity’ genannt, die Fähigkeit das Gegenüber zu erspüren und der zweite war ein ausgeglichener Redeanteil innerhalb einer Gruppe. Die Einzelintelligenzen der Gruppenmitglieder hatten keinen signifikanten Einfluß auf das Gruppenergebnis. Die Studie beweist, dass es nicht nur auf das Individuum ankommt, sondern auf die Interaktion, die menschliche Fähigkeit einander zu begegnen, nicht nur im privaten Raum, sondern im Geschäftsleben. Eine Gruppe mit geringeren Einzel-IQ‘s, aber hoher Qualität im gegenseitigen Verständnis kann weitaus smarter werden als eine Gruppe von Genies.
Google hat diese Studie mit eigenen Analysen weiterentwickelt. Dies ging unter dem Titel ‘Nett sein ist intelligent’ durch die Medien. Das verkürzt das Thema etwas, aber es half ihnen bei der Umsetzung im Organisationsalltag.
Wenn man Zusammenarbeit rein funktional sieht und nur über die Inhalte aufbaut, entsteht kein ‘Collective Mind’. Wenn eine Organisation durch Regeln und Ansagen aufgebaut ist, dann ist diese ‘dumm’. ‘Dumm’ deshalb, weil sie nur in einer Situation handeln kann.
Sobald sich die Situation verändert, was wir laufend erleben, weiss sie nicht mehr was sie tun soll. Bei einem stark ausgeweiteten ‘Collective Mind’, können sich die Mitarbeiter in jeder Situation verändern und die angemessene Haltung annehmen. Sie können den inneren Freiraum nutzen und ein fluider Raum werden, der auf Unwegbarkeiten reagieren kann. Dafür brauchen sie aber auch äußeren Freiraum, in dem sie ihre eigene Expertisenutzen können anstatt von oben Expertise zu bekommen. Zwischen der vollkommen fluiden Organisation und der vollkommen starren Hierarchie gibt es alle möglichen Ausprägungen.

Du hast einen ganzheitlichen Ansatz, siehst die Umsetzung allerdings individuell. Es geht für das Unternehmen darum was zu ihm passt, das muss man ausprobieren. Und es geht darum was zwischen den Menschen entsteht. Wie bist Du darauf gekommen?

Dr. Birgit Feldhusen: Als ich nach dem Studium bei Unilever im Management arbeitete, erfuhr ich nach sechs Jahren eine massive Sinnkrise, weil das rein funktionale ausschließlich auf Rendite geprägte Management Denken sich in mir innerlich gesträubt hat. Ich habe nicht gesehen, dass es uns als Mitarbeitern gut gegangen ist und ich habe nicht gesehen, dass es den Kunden gut gegangen ist.
Ich war danach einige Jahre als Beraterin tätig, doch die Hoffnung darauf, etwas Sinnvolleres zu tun wurde enttäuscht. Erst als ich mich in unterschiedlichen Ausbildungen der Persönlichkeit, der Sinngebung und dem Geist des Menschen widmete, fühlte ich mich auf dem richtigen Weg. Prof. Alexander Kaiser, der vorher auch mein Coach war, holte mich nach Wien an die Wirtschaftsuniversität, wo er ein ähnliches Thema erforschte. An der WU fand ich ein Biotop vor, wo ich mich mit der Frage beschäftigen konnte: ‘Was passiert eigentlich, wenn Menschen zusammen arbeiten? Wie entsteht der Effekt von 1+1= 3 und wie kann man diesen Effekt generieren?’
Ich hatte diesen Effekt in diversen Trainerausbildungen und beim Arbeiten mehrfach erlebt. Wenn Menschen in Gruppen zusammen arbeiten, kann es einen Moment geben, wo auf einmal das Miteinander schlagartig eine andere Qualität erfährt, auf eine andere Ebene gehoben wird. Das fasziniert mich. Wenn Menschen miteinander reden, arbeiten, lachen, spielen, zusammen interagieren, sich begegnen, kann etwas entstehen, das mehr als die Summe des Einzelnen ist.

www.organizingfuture.com

 

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Dr. Birgit Feldhusen

About:

Dr. Birgit Feldhusen war in Hamburg 7,5 Jahre in Revision, Controlling und Marketing der internationalen Konsumgüterindustrie und 7,5 Jahre auf Beratungsseite tätig, bevor sie 2010 nach Wien kam, um erneut in die akademische Welt einzutauchen. 2014 promovierte sie an der Wirtschaftsuniversität Wien im Bereich Wissensmanagement zur Emergenz von kollektivem Wissen. Auf Basis ihrer Forschung liefert sie als Lektorin und wissenschaftliche Beraterin neue Perspektiven zur Organisation der Zukunft. In vielfältigen Formaten bringt sie die Kernthemen einer zukunftsfähigen Zusammenarbeit in den Dialog: in einem jährlichen ‚Knowledge Space‘, in akademischen Lehrveranstaltungen, auf dem monatlichen ‚Wiener Leadership Breakfast‘ sowie in verschiedensten Vorträgen.