In unserer Welt scheint vieles erklärt, neue Errungenschaften und Änderungen von Welt und Weltbild vermutet man in technischen Innovationen und ausgefallenen Businessmodellen. Dennoch gibt es in den Naturwissenschaften ein weites Feld an unerforschten Gebieten. ‘Wir stehen vor der Herausforderung, dass ca. 85% des Materiegehalts des Universums noch nicht verstanden sind.’, sagt Prof. Jochen Schieck, Direktor des HEPHY (Institut für Hochenergiephysik der österreichischen Akademie der Wissenschaften), Wien. Es gibt fünfmal mehr gravitative Wechselwirkung als man von der sichtbaren Materie erwartet. Daher wird nach einem neuen Teilchen – der Dunklen Materie – gesucht, von dem vermutet wird, dass es existiert und die fehlende Gravitation erklären kann.
Blick in das Innere des CMS Experiments (Quelle Hephy)
Was sind die Gründe für das Postulat, dass es dunkle Materie gibt, obwohl ihre Existenz bisher nicht bewiesen ist?
Prof. Schieck:
Folgende Punkte sind hier von Interesse: Man beobachtet einmal, dass es mehr Gravitation gibt, als man von der existierenden Materie erwartet. Das ist die einzige Beobachtung, die sicher ist. Sie ist mehrfach bewiesen, es gibt verschiedene Beobachtungen, die alle in die gleiche Richtung weisen und konsistent sind. Es gibt Beobachtungen, dass es fünfmal mehr Materie als normale Materie oder fünfmal mehr gravitative Wechselwirkung gibt, als man erwartet. Das ist ein Fakt. Die Annahme, dass diese zusätzliche Gravitation aus einer unsichtbaren Materie kommt, ist ein Postulat, aber es ist die konsistenteste Annahme, die wir machen können.
Wir wissen, dass es mehr gravitative Wechselwirkung gibt: Fakt. Aber was letztendlich diese gravitative Wechselwirkung hervorruft oder welche Teilchen das sein können – das wissen wir nicht, danach wird gesucht.
Wie sieht diese Suche für einen Laien aus?
Prof. Schieck: Die Idee etwas Neues hinzuzufügen um Beobachtungen zu erklären, ist ein Konzept, das in der Vergangenheit gut funktioniert hat und ein vielversprechender Ansatz. Zum Beispiel wurde die Idee der Materie und Antimaterie Anfang des 20. Jahrhunderts eingeführt um ein mathematisches Problem zu lösen. Mittlerweile ist es ein Fakt, dass Antimaterie existiert.
Die beste Erklärung für die zusätzliche Gravitation und den höheren Anteil an gravitativer Wechselwirkung ist eben, dass es zusätzliche dunkle Materie gibt.
Die Suche sieht folgendermaßen aus: man postuliert ein neues Teilchen und versucht über neue Prozesse dieses Teilchen nachzuweisen. Unsere Erfahrung wird durch die Gravitation und durch die elektromagnetische Wechselwirkung des Lichts dominiert. Aber es gibt noch andere Wechselwirkungen, wie die ‘schwache Wechselwirkung’ beispielsweise und möglicherweise gibt es noch ganz andere Wechselwirkungen, die wir nur mit speziellen dafür hergestellten Detektoren nachweisen können und damit dunkle Materie finden. Wir hoffen, dass es mit dunkler Materie ein neues Teilchen gibt. Idealerweise sollte dieses neue Teilchen unter Austausch von Kräften mit normaler Materie wechselwirken und damit einen Energieübertrag auf unsere normale Materie machen, den wir beobachten können. So sollte ein Stoßprozeß erfolgen: dunkle Materie wechselwirkt mit normaler Materie, die Beobachtung erfolgt über die normale Materie.
Im Institut stellen Sie maßgeschneiderte Messgeräte her, soll damit auch dunkle Materie nachgewiesen werden?
Prof. Schieck: Wir stellen spezielle Meßgeräte her, wobei man fairerweise sagen muss, dass wir momentan noch keine maßgeschneiderten Meßgeräte für dunkle Materie machen. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass ich erst seit 2013 an diesem Institut bin und angefangen habe mich mit der dunklen Materie experimentell zu beschäftigen. Wir haben uns daher entschlossen erstmal in einem existierenden Experiment mitzuarbeiten um die Expertise zu gewinnen. Wir sind gerade dabei Erfahrungen und auch Techniken in der dunklen Materie zu erarbeiten. Wir stellen allerdings maßgeschneiderte Detektoren für andere Experimente her. Wir sind ja nicht nur an der Suche nach dunklen Materie Teilchen über Streuung involviert, sondern wir sind beispielsweise auch am CMS Experiment am CERN beteiligt oder am BELLE Experiment in Japan. Wir sind Experten für Detektoren und Nachweisgerätebau. Die neue Expertise für dunkle Materie bauen wir gerade auf.
Beschäftigen Sie sich auch mit dunkler Energie?
Prof. Jochen Schieck: Daran arbeiten wir am Institut nicht direkt selbst. Man hat beobachtet, dass sich unser Universum immer weiter expandiert und beschleunigt, das versucht man mit einer Art abstoßender Kraft zu erklären – Gravitation zieht an – die andere Kraft stößt ab – diese wird versucht mit dunkler Energie zu erklären, das ist ein Forschungsfeld an dem wir als Institut nicht arbeiten, aber das natürlich für unsere Wissenschaft interessant ist.
Wenn man tatsächlich die dunkle Materie findet, wird sich die Welt ändern?
Prof. Schieck: Wenn ein Experiment ein Signal findet, das mit dunkler Materie konsistent ist, wird es erstmal mehrere Jahre brauchen bis das etabliert ist. Man braucht andere Experimente, die das Ergebnis verifizieren. Es gibt zusätzlich einen ganzen Kriterienkatalog, den dunkle Materie erfüllen muss – der muss erstmal abgearbeitet werden, bis man sicher sein kann, dass man dunkle Materie gefunden hat und dieses Phänomen mit einem neuen Teilchen erklären kann.
Was das für technische Folgen hat, vermag ich nicht abzuschätzen, aber ich denke es wird ein weiterer Schritt sein, das Selbstverständnis der Menschenheit noch kleiner zu machen.
Es gibt Leute, die diese Erkenntnis mit einer zweiten kopernikanischen Wende vergleichen – die Erde dreht sich um die Sonne und nicht umgekehrt. Das heißt letztendlich, dass wir uns weniger wichtig nehmen.
Ich denke, dass man sich nicht mehr so ins Zentrum des Universums stellt, ist ein ganz entscheidender Einfluss in die Weiterentwicklung der Menschheit. Die Feststellung, dass unser Universum auch materiell aus viel mehr besteht als dem was man meint zu beobachten, erweitert unseren Horizont.
Zu dem dominanten Bild der elektromagnetischen Wechselwirkung/Gravitation würden sich neue Möglichkeiten, die Welt zu beobachten, gesellen. Mit neuen Kräften und neuen Teilchen wäre unser Weltbild um einiges erweitert. Das könnte eine Auswirkung von dunkler Materie sein.
Was würde geschehen, wenn man in den nächsten zehn Jahren die dunkle Materie nicht nachweisen kann? Ändert sich dann die Theorie?
Prof. Schieck: Es gibt verschiedene Theorien dunkle Materie als Teilchen zu erklären. Man versucht eine Hypothese mittels Beobachtung experimentell nachzuweisen. Wir forschen ja schon seit Jahren an dieser dunklen Materie. Wenn wir in den nächsten zehn oder fünfzehn Jahren keinen Beweis finden, heißt das, dass der Parameterraum zu einem nicht unwesentlichen Teil abgescannt wurde. Ich denke, dass man sich ab einem gewissen Punkt fragen muss, in wie weit diese Hypothese überhaupt richtig ist. Aber es gehen doch erheblich viele Annahmen da hinein und viele dieser Annahmen sind absolut gut begründet. Meiner Meinung nach sind wir momentan auf dem Weg zu Ergebnissen, wir suchen in dem Bereich, der mit der eigenen Erfahrung konsistent ist. Sollte allerdings kein Ergebnis erreicht werden, muss man vielleicht einen Schritt zurückgehen und viel fundamentalere Fragen stellen.
Was ist Ihre Vision?
Prof. Jochen Schieck: Wir leben in einer spannenden Zeit. Das Standardmodell der Teilchenphysik wurde 2012 mit der Entdeckung des Higgs Teilchens mehr oder weniger abgeschlossen. Wir sind in dieser phantastischen Situation, dass man ein Modell hat, das extrem gut funktioniert und es keinen Hinweis darauf gibt, dass etwas nicht funktioniert.
Aber auf der anderen Seite haben wir viele Beobachtungen aus astrophysikalischen Messungen, die nicht mit dem Standardmodell der Teilchenphysik erklärbar sind.
Wir wissen, es muss mehr geben, wir können mit unserem Modell nur einen Teil aller Beobachtungen erklären. Wie es weiter gehen wird, kann uns nur das Experiment sagen – wir müssen die Hypothese nun auf den Prüfstand stellen.
Wir können mit dem Standardmodell der Teilchenphysik nicht erklären, was dunkle Materie ist.
Meine Hoffnung ist, dass es uns so ähnlich geht wie unseren Kollegen vor 100 Jahren, als die Quantentheorie entdeckt wurde.
Ich glaube Planck hat diesen bekannten Satz gesagt. Als er begonnen hatte zu studieren, hat jemand zu ihm gesagt, er solle das Physikstudium lassen, es wäre alles gemacht.
Die Physik war damals relativ konsistent, es gab nur zwei oder drei kleine Messungen, bei denen das nicht der Fall war. Man hat gehofft, dass das nur kleine Punkte wären und alles mit der bekannten Physik erklärbar sei. Aber dann kam diese bahnbrechende Idee, bei der man annahm, dass Energie nicht kontinuierlich ist, sondern gequantelt, also immer nur in endlichen Mengen auftreten kann. Aus diesem Teilchencharakter hat sich die Quantentheorie entwickelt und damit einen komplett unbekannten Raum aufgestoßen. Vielleicht kommt man zu einer neuen Denkweise, die diese Probleme nicht mit einer herkömmlichen Erklärung lösen kann, sondern tatsächlich mit einem komplett neuen Ansatz, der uns heute einen weiteren unerforschten Raum öffnet. Wenn man dunkle Materie jetzt wirklich mit Teilchen erklären könnte, wäre das eine herkömmliche Denkweise um ein Problem zu lösen.
Meine Hoffnung wäre, dass es ein ganz neues Konzept gibt, das unsere Denkweise komplett ändert und damit auch einen anderen Blickwinkel auf das Universum ermöglicht.
©HEPHY/Fotograf Gregor Schweinester
Univ.-Prof. Dipl.-Phys. Dr. Jochen Schieck/Direktor des HEPHY (Institut für Hochenergiephysik der österreichischen Akademie der Wissenschaften)
About:
Univ.-Prof. Dipl.-Phys. Dr. Jochen Schieck ist seit 2013 Direktor des Instituts für Hochenergiephysik (HEPHY). Er studierte und promovierte in Physik an der Universität Heidelberg. Seine akademische Karriere beinhaltet Forschungsaufenthalte am CERN, in den USA, Deutschland und Österreich. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Suche nach bisher unentdeckten Phänomenen einer Physik jenseits des uns bekannten Standardmodells der Teilchenphysik. Diese Suche umfasst verschiedene Gebiete, wie die direkte Suche nach Dunkler Materie mit dem CRESST-Experiment am Gran Sasso Labor in Italien und indirekte Suchen nach Physiksignaturen in der sogenannten Flavour-Physik, in der die Zerfälle von Hadronen mit b-Quarks untersucht werden.
Neben diesen Suchen hat er auch Aspekte der starken Wechselwirkung analysiert, im besonderen die Bestimmung der starken Kopplungskonstante αS der Quantum Chrom Dynamic.
Instrumentierung und Inbetriebnahme von modernen Teilchenphysikdetektoren ist ein weiterer Schwerpunkt seiner Arbeit.