Hanno Burmester
Gründer Unlearn Consulting & Development GmbH, Berlin

Die digitale Transformation erfordert eine bewusste Entwicklung von Mensch, Struktur und Kultur. Immer mehr neue Inhalte im Kopf aufeinander zu stapeln, hilft noch nicht mehr zu lernen. Wirklich wirksames Lernen erfordert die bewusste Wahrnehmung der Denkmuster, von denen man gesteuert wird und in Folge das aktive Verlernen eben dieser Gewohnheiten. Eigenverantwortung, Selbststeuerung und vor allem die Behandlung der Frage: ‘Wie persönliche Werte und Organisationswerte zusammenhängen und welche Verhaltensweisen sich daraus für den Alltag ergeben’, sind für Hanno Burmester, Gründer Unlearn Consulting&Development Gmbh, die wichtigsten Werkzeuge für die Transformation von Unternehmen.

Hanno Burmester spricht am 21. Mai. 2019 am Corporate Culture Jam in Wien.

Im Sinne des Taskfarm Konzepts wurde Hanno Burmester von Helmut Blocher auf das Interview eingeladen.

‘Um Zukunft zu werden, müssen wir verlernen’ – was bedeutet das?

Hanno Burmeester: Ich glaube, dass wir Lernen zu häufig verstehen als ‘Ich hole mir etwas Neues, lege es auf etwas Bestehendes drauf und dann kann ich es besser als vorher.’ Aber wirklich wirksames Lernen erfordert ein paar Schritte mehr. Bevor man lernt, sollte man eine Bestandsaufnahme machen und überlegen, von welchen Mustern, Glaubenssätzen und Gewohnheiten man gesteuert wird – und was davon hinderlich ist, um Neues zu lernen und etwas zu verändern.

Denn permanentes Aufladen von Neuem auf Bestehendes verändert noch nicht die Perspektive.

Tatsächlich bremsen eingespielte Denk- oder Verhaltensmuster oft den Wechsel zu anderem Verhalten, egal wie sehr man sich das kognitiv vornimmt. Daher ist das Verlernen vor dem Neulernen elementar wichtig. Sich diesen Schritt bewusst zu machen, ist die Basis für jede Art der Transformation, sowohl für die Individuelle als auch für die Transformation von Organisationen und Gesellschaften.

Eines eurer Schlagwörter ist agile Organisationsentwicklung, ist das die Weiterführung von agilem Projektmanagement?

Hanno Burmester: Agile Organisationsentwicklung ist eine Begriffsneuschöpfung. Wir glauben, dass man aus dem agilen Mindset, der Art und Weise wie man agile Prozesse steuert, sehr viel über Organisationsentwicklung lernen kann. In großen Organisationen wird häufig von einzelnen Individuen oder kleinen Gruppen ein Plan gemacht. In der Umsetzung fragt sich dann die Hälfte der Ausführenden nach der Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme, da viele Aspekte nicht berücksichtigt oder einfach übersehen wurden. Das passiert sogar sehr guten Systemikern.
Bei der Projektsteuerung in komplexen Veränderungsprozessen – eigentlich immer, wenn es um menschliche Veränderung geht – haben wir es mit einem hohen Maß an Komplexität zu tun. Da reicht schon eine sehr kleine Gruppe von Personen. Im agilen Ansatz sind Selbstorganisation und Selbststeuerung fundamentale Bestandteile. Kollaboration, also die Vielfalt von Perspektiven, ist essentiell, um wirklich gute Inhalte zu produzieren, die am Schluss auch Akzeptanz finden.
Wir setzen daher im Prozessdesign stark auf eine enge, kreative Kollaboration mit unseren Kunden, die diesen Prozess von Anfang an mitdesignen. Für den Erfolg ist die Einbindung aller Funktions- und Hierarchieebenen wichtig, denn die Perspektivenvielfalt, die bereits während diesem Prozess entsteht, ist schon ein Lernprozess. Allein das prägt Kultur und verändert damit den Status Quo. Dazu glauben wir an hierarchieübergreifende Teams, die immer bessere Ergebnisse produzieren, als wenn die Führungsetage unter sich etwas ausbrütet. Wir haben damit nicht nur gute Erfahrung im Outcome gemacht, sondern auch den Spaßfaktor in der Konzeption erhöht. Einfach weil die Umsetzung so weniger träge ist und die Ideen mehr Mütter und Väter haben.

Mit welchem Auftrag kommen Unternehmen zu Euch? Ist Kulturentwicklung etwas, das ihr aktiv anbietet? Oft versteckt sich das Kulturthema hinter einem Umzug oder der Umgestaltung der Büros und geht dann Hand in Hand mit Kulturentwicklung.

Hanno Burmester: Ich teile diesen Eindruck, und ich würde fast sagen, der Kulturbegriff, ist an vielen Stellen eher hinderlich als förderlich. Weil Kultur ist ja alles und nichts.
Unternehmen kommen immer mit einem Labelthema, unter dem sich dann Kultur versteckt. Es gibt ganz unterschiedliche Spielfelder, der roten Faden bei allen ist aber kulturelle Transformation.
Wir haben beispielsweise ein Projekt mit einem Automobilhersteller umgesetzt, der einen Umzug von unterschiedlichen Standorten des Unternehmens in einen Campus plante.  Die Abteilungen hatten unterschiedliche Arten miteinander zu kommunizieren, ganz unterschiedliche Rituale, Gewohnheiten und Codices.
Wir arbeiteten in diesem Kontext an der Überwindung der Gegensätze um eine gemeinsame Kommunikation, ein Miteinander und eine gute Zusammenarbeit zu ermöglichen. Ein weiteres Beispiel ist ein mittelständisches Produktionsunternehmen in Baden-Württemberg, das seine Zeiteinteilung nach einem sehr rigiden Arbeitszeitmodell ausrichtete. Die Arbeit begann für alle Mitarbeiter um 7:30 und endete ebenfalls für alle um 17:30. Wenn es eine Pause gab, läutete ein Gong und dann standen alle auf. Dieses Modell wollte man auf Vertrauensarbeitszeit umstellen. Hinter dieser Umstellung verbargen sich aber die Themen: ‘Wie können wir einander vertrauen?’ , ‘Woran merken wir, dass wir das können?’. Die Frage wofür Führung zuständig wäre, wurde aufgeworfen. Bisher wurde Führung in dem Unternehmen von vielen als Kontrolle verstanden – unter anderem die Kontrolle von Präsenz. Plötzlich ging es um ganz andere Inhalte, wie die Definition von Selbststeuerung und Eigenverantwortung.

Diese Aufgabenstellungen sind starke Kulturthemen, denen mentale Modelle und stille Grundannahmen, die nicht explizit verhandelt werden, zugrunde liegen.

Als letztes Beispiel betreuen wir eine Landespartei, die zwar mit dem Status quo zufrieden ist, sich aber im Hinblick auf die Zukunft organisatorisch und kulturell weiter entwickeln möchte. Wir arbeiten hier besonders intensiv mit einem kleinen Team in der Führung – und erweitern den Radius jetzt immer weiter, bis hin zu den 40.000 ehrenamtlichen Mitgliedern. Dieses Projekt hat natürlich eine andere Logik als Projekte im Konzernumfeld. Aber schlussendlich ist die Zahl der Beteiligten ähnlich, genauso wie die unterschiedlichen Ebenen, auf denen gearbeitet wird. Prozesse und Strukturen müssen genauso überlegt werden, ebenso die Frage wie tatsächlich kommuniziert wird und mit welcher Haltung man einander begegnet. Das sind komplexe Projekte, deren Umsetzung mehrere Jahre dauert. Wir lieben das.

Viele Personen sind nicht veränderungsbereit, weil sie Angst haben, durch die Änderungen Nachteile zu erfahren, zum Beispiel ihre Position oder ihren Status zu verlieren oder auch gekündigt zu werden. Welchen Ansatz verfolgt ihr in dieser Situation?

Hanno Burmester: Wir starten mit einer offenen Haltung und der Einladung zum Mitmachen. Es ist aber wichtig klarzustellen, dass für die Partizipation ein gewisser Rahmen vorgegeben ist. Gerade wenn es um Veränderungsaufgaben und neues Arbeiten geht, ist es wesentlich, dass vorher von den Verantwortlichen strategisch einige Parameter gesetzt werden, die erstmal nicht verhandelbar sind. Dadurch stecken wir ein Spielfeld ab, die Gestaltung des Spielfelds ist partizipativ. Dieses Setup hilft, um dem Prozess eine Orientierung zu geben. Aufgrund der Transparenz können sich die Menschen überlegen, ob sie mitgehen wollen und wenn nicht, was die Alternative wäre. Hier gibt es unterschiedliche Reaktionen, in denen oft interessante Informationen stecken. Manche überlegen sich, wie sie sich verändern möchten, andere gehen in den Widerstand, dritte blockieren und verlassen das Unternehmen. Alles sind valide Verhaltensweisen. Wir sehen uns in der Pflicht, immer zu fragen: welche Informationen stecken im Widerstand? Können wir den Prozess besser machen?
Zum zweiten haben wir die Grundhaltung, extrem transparent und ehrlich zu kommunizieren. Wenn wir jemanden einladen mitzumachen, dann ist das immer genau so gemeint. Wir machen keine Pseudo-partizipation. Hier haben Menschen oft andere Erfahrungen gemacht und misstrauen uns anfänglich. Wenn die Mitarbeiter im Verlauf des Prozesses aber gemerkt haben, dass wir es wirklich ernst meinen, beginnen oft erstaunliche Erfahrungen. Bei Menschen von denen wir zu Beginn unsicher waren, ob sie den Weg mitgehen, erlebten wir teilweise unglaubliche Veränderungsgeschichten mit extremen Konsequenzen, auch für das Leben der Einzelnen. Denn wenn der Arbeitsbereich verändert wird, hat das Auswirkungen auf den Rest des Lebens. Hier gibt es Beispiele, wo ich wirklich den Hut ziehe, denn es ist nicht selbstverständlich, dass Menschen so eine hohe Veränderungsbereitschaft haben.

Du sprichst auch davon, dass Spiritualität für Unternehmen eine immer grössere Rolle spielt.

Hanno Burmester: Das ist natürlich ein Grenzthema. Ich verstehe Spiritualität nicht im Sinne von Esoterik, sondern mir geht es um die großen Fragen des Lebens, die letztlich nur subjektiv zu beantworten sind wie ‘Warum sind wir hier?’, ‘Welchen Beitrag wollen wir leisten?’, ‘Was ist unsere Funktion im Gesamtsystem?’. Das sind spirituelle Fragen, weil sie nicht final beantwortbar sind und es nicht die eine Wahrheit gibt, sondern immer unterschiedliche Wahrheiten als Antwort.
Ich glaube, dass diese Fragen gerade für Unternehmen, die sich in einer starken Umorientierung befinden, ganz wichtig sind. Die Umorientierung fußt oft darin, dass man merkt, dass an vielen Stellen falschen Zielen hinterher gelaufen wird und die Zukunftsperspektive nicht mehr gegeben ist. Als einziges Ziel zu haben, dass die Profit Marge gleich bleibt und der Marktanteil nicht sinkt, funktioniert auch wirtschaftlich immer schlechter in der heutigen Welt. Viele vergessen, was eigentlich der größere Sinnzusammenhang ist, in dem sie bestehen.
Fragen nach Sinn und Werten sind über die letzten Jahre viel zu kurz gekommen. Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass Menschen diesbezüglich wie ausgetrocknet sind und wirklich aufblühen, wenn wir fragen: Wie hängen Eure persönliche Werte denn mit den Organisationswerten zusammen? Welche Verhaltensweisen ergeben sich daraus für den Alltag? Das Gespräch über Sinnstiftung und den größeren Sinnzusammenhang, den persönlichen und Unternehmensbeitrag – das löst die erstaunlichsten Dinge aus. Solche große Fragen eröffnen eine Dimension, die vielen erst mal schwammig erscheint – tatsächlich ermöglicht es den Menschen aber sich individuell und kollektiv selbst zu steuern. Tatsächlich ist es nicht nur individuell wertvoll zu verstehen: was ist der Sinnbeitrag, den ich Tag für Tag stifte? Sondern das ist im Kern eine strategische Frage. Wer Sinn und Werte klar hat, der hat die Kompetenz zur Selbststeuerung – auch wenn niemand von außen einem sagt, wo es langgeht. Das ergibt Konsistenz in Zeiten von Kurzfristigkeit. Eine Konsistenz, die mit Quartalszielen und anderen KPIs nicht zu erreichen ist.

Selbststeuerung ist für euch ein wichtiges Element.

Hanno Burmester: Stimmt. Selbststeuerung ist deshalb wichtig, weil wir zum Einen immer mehr mit Führungs- und Organisationsmodellen zu tun haben, bei denen nicht mehr die Präsenz, sondern das Ergebnis zählt und zweitens, weil niemand mehr sagen kann, was richtig und was falsch ist. Es gibt keine Führung mehr die en detail vorschreiben kann, was zu tun ist, das funktioniert in businessgesteuerten Unternehmen einfach nicht mehr. Daher ist es besonders wichtig zu wissen, was der eigene Kern und die eigene Ausrichtung ist.
Die Klärung dieser Fragen ermöglicht es dem Einzelnen auch dann zu agieren, wenn nicht ganz genau vorgegeben wird, wo es gerade hingehen soll. Was soll denn sonst helfen? Policies und Compliance Regeln sind es in der Regel nicht, weil sie nur die Fälle der Vergangenheit regulieren.

Wenn du aus deiner Perspektive 10 Jahre in die Zukunft schaust, welche Organisationsformen wird es geben?

Hanno Burmester: Ich bin überzeugt, dass wir gerade dem Beginn eines historischen Wandels erleben. Das hegemoniale Organisationsmodell des Fordismus ist am Sterben, auch wenn es gerade noch „normal“ scheint und beinahe hegemonial ist. Ein anderes Organisationsmodell ist im Kommen, gewisse Kerneigenschaften dieses neuen Modells sind bereits zu erkennen.
Das erste Merkmal ist Dezentralität. Ich glaube, es werden Organisationen entstehen, die kleiner als die heute Maßgeblichen sind. Ich denke, dass wir es in Konzernen in höherem Maß mit Zerschlagung zu tun bekommen werden, einfach weil mit einer kleineren Größe die Steuerbarkeit, die Wendigkeit und auch die Accountability wächst. Das Zweite ist, dass sich eine gewachsene Form von Selbstorganisation ausbildet, einer weiteren Form von Selbststeuerung. Es wird zwar weiter hierarchische Führungen geben, aber die Funktion ändert sich. Hier steht die rechtliche Verantwortung und das Sicherstellen von funktionierenden Schnittstellen im Vordergrund, die Entscheidungsgewalt ist nicht mehr an erster Stelle.
Weiters denke ich, dass es zu einer größere Sinnorientierung in Unternehmen kommen wird.Auch weil sich h der politische Kontext ändert und wir es absehbar mit einer Politik zu tun bekommen werden, die Wirtschaft zwingen wird, den von ihr verursachten ökologischen und sozialen Schaden zu kompensieren bzw. von Beginn an zu vermeiden. In unserem derzeitigen Modell ist beispielsweise Kostenexternalisierung selbstverständlich, das wird in zehn Jahren noch legal sein, ob das aber in 20 oder 30 Jahren noch so ist, bezweifle ich. Letzter Punkt: Wir bekommen immer häufiger mit Organisationen zu tun, in denen Veränderung das Normal ist, nicht Verharrungen. Personen mit guten Ideen haben dort qua Normalmodus Gelegenheit, sie auszuprobieren – statt dass immer der Status Quo siegt. Diese Haltung wird sich noch verstärken, dadurch werden wir eine bessere Anpassungsfähigkeit an die Umwelt bekommen. Das brauchen wir ganz dringend.

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