Nipun Mehta,
preisgekrönter Gründer von ServiceSpace, einem Inkubator von Projekten
zwischen Voluntariat, Technologie und Geschenkökonomie
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‚Generosity Flashmob‘ kam mir in den Sinn, als ich Nipun Mehta, Gründer von ServiceSpace, in unserem Voluntärtreffen zur Vorbereitung auf einen Business and Transformation-Pod sprechen hörte. Obwohl es nicht gerade die Art von Pep-Talk war, die man sich vorstellt, wenn Leute ihre berufliche Expertise und ihre Zeit kostenlos zur Verfügung zu stellen. Der Wortlaut war eher so: Wir treffen einander in mehreren Meetings vor, während und nach dem Pod. Wir bringen eine Menge kollektiver Anstrengung und Herzblut ein, um 134 Menschen (aus der ganzen Welt und praktisch jeder Zeitzone) zu unterstützen und das meiste davon wird absolut unsichtbar sein. Danach löst sich unser Team wieder auf, um vielleicht oder auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt wieder zusammenzukommen.
Nicht gerade ein Angebot, bei dem man “Hurra, da muss ich dabei sein!” ruft.
Doch als ich bei unserem Zoom-Meeting in die Gesichter sah, hatte jeder von uns einen Riesengrinser vor Vorfreude, alle strahlten in Erwartung dessen, was da kommen würde.
Was war das Geheimnis? Warum würden all diese Menschen, die vollgepackte Leben und einige überraschend beeindruckende Verantwortungen in ihren Jobs hatten, einen großen Teil ihrer Zeit, von ihren Jobs, ihren Familien und sogar ihres Schlafes dafür opfern?
Und was hat das Konzept der “multiplen Kapitalformen” damit zu tun?
Von Nipun Mehta und ServiceSpace gibt es auf vielen Ebenen zu lernen.
- auf der Ebene des Netzwerkaufbaus, das in tiefen Beziehungen verwurzelt ist.
- auf der Ebene der Gruppenorganisation durch Empowerment.
- auf der Ebene des Einsatzes verschiedenen Kapitals abseits von Geld, um innovative und nachhaltige Ergebnisse zu erzielen.
- auf der Ebene des Haltens eines Raumes, um einen zirkulären Energiefluss für Voluntäre zu ermöglichen und so Burnouts zu vermeiden und natürlich,
- vom eigentlichen Ergebnis der mannigfaltigen Projekte, die ServiceSpace ermöglicht.
„Be the change you want to see in the world” ist die Kernaussage. ServiceSpace ist ein Netzwerk, das sich innerhalb der letzten 20 Jahre zu einer internationalen Multichannel-Nonprofit-Organisation entwickelte. Dailygood, Kindspring, Karmatube, Karunavirus, Awakin Talks, Awakin Circles, Karma Kitchen und das neueste Baby, die Laddership Pods, sind nur einige Online- und Offline-Initiativen, die aus der anfänglichen Idee entstanden sind, Webseiten für NGO’s kostenlos zu erstellen. Heute hat das ServiceSpace-Ökosystem mehr als 600 000 Mitglieder und erreicht jeden Monat Millionen von Menschen.
Wie war es möglich, das weltweit größte Generosity Netzwerk aufzubauen, das Ergebnisse im Wert von Millionen von Dollar hervorbringt, ohne sich jemals Finanzierungsmöglichkeiten zu überlegen? Hast Du nie an Fundraising gedacht? Oder war es eine strategische Entscheidung?
Nipun Mehta: Es war nicht strategisch sondern eine prinzipielle Entscheidung. Es gibt ein schönes Zitat eines chinesischen Meditationslehrers: “Wenn du am Anfang um einen Zentimeter daneben liegst, wirst du am Ende um zehntausend Meilen daneben liegen.” Es war uns damals gar nicht bewusst, aber ich glaube, wir haben uns wirklich auf diese Zentimeter konzentriert.
Vor über 20 Jahren begannen wir Sandwiches an Obdachlose zu verteilen und dann eine Website für ein Obdachlosenheim zu bauen. Durch das Geben fühlten wir uns großartig, inspiriert und so verbunden, auch miteinander. Wir wollten nicht bis zur Pension warten, um mit diesem ‘Geben-Sache’ anzufangen. Wir wollten jetzt starten. Aus dieser Energie dachten wir darüber nach, wie wir anderen Menschen diese Freude schenken könnten. Die Welt behauptet du brauchst einen Plan und musst eine skalierbare Lösung schaffen. Um eine große Wirkung zu erzielen musst du Spenden sammeln, Mitarbeiter einstellen, und hard-selling betreiben.
Es war nicht so, dass diese Stimmen nicht da waren, aber es fühlte sich nicht richtig an.
Wir wollten nichts pitchen und Zukunftsprojektionen machen, über die wir keine Kontrolle hatten. Wir gingen das Risiko ein, dass unsere Anstrengungen vielleicht nirgendwo hinführen würden, denn das Gefühl, das es erzeugte, war wertvoller als all die Auswirkungen, die Planung und Skalierung versprechen konnten. Daher kamen wir nie in Versuchung des aktiven Fundraisung.
Aber skaliert habt ihr trotzdem und zwar außerordentlich. Die Entscheidung rein mit Voluntären zu arbeiten war der Grundstein für ein weltweites innovatives Ökosystem.
Ein Projekt, das in der Pandemie entstand, ist die Pod-Plattform. Eine interaktive Online-Lernerfahrung für Führungskräfte, die den Intellekt anregt und gleichzeitig tiefe Verbindungen aufbaut. Wie ist das entstanden?
Nipun Mehta: ServiceSpace ist eine Plattform. Aber sie wird mit Zeit-Kapital finanziert – einem Ökosystem von Freiwilligen. Mit dieser einzigartigen Grundlage können wir ganz andere Fragen stellen. Während der Pandemie hat sich dieser Unterschied noch stärker herauskristallisiert. Die meisten Institutionen waren verständlicherweise darauf fokussiert, ihre Verluste zu minimieren. Zeitkapital ist aber eine viel flüssigere Ressource. Während sich alle darauf konzentrierten auf Zoom umzustellen, überlegten wir, wie man tiefere Verbindungen in einem virtuellen Kontext aufbauen kann. Unser Ökosystem reagiert ganz anders. Eine Community, die durch rein intrinsische Motivation verbunden ist, innoviert auf eine andere Weise, in einem anderen Tempo und mit anderen Zielen.
Die Grundlage für die Pods waren unsere Erfahrungen mit Tausenden von online und offline Circles. Online hatten wir die letzten Jahre einige weltweite virtuelle sechswöchige Peer-Learning “Laddership Circles” gemacht; und offline hatten wir Tausende von Circles und mehr als hundert Retreats mit Führungskräften und Change-Makern in Dutzenden von Ländern gehalten. Die Erfahrungen, wie man sich organisiert um das “Ganze größer ist als die Summe der Teile” zu machen, ist auch in die Pod-Plattform eingeflossen.
Wie begegnet diese Organisation nun den virtuellen Zwängen der Pandemie in einem nicht-kommerziellen Kontext?
Nipun Mehta: Das ist eine faszinierende Frage, denn wenn das Thema Geld zu machen vom Tisch ist, werden die Verbindungen sehr schnell sehr tief. Diese tiefen Verbindungen öffnen die Türe zur Dankbarkeit. Dankbarkeit, das fühlen wir nicht nur, das wurde auch wissenschaftlich belegt, ist regenerativ, dadurch bringt sie noch mehr Kapazität hervor und der gesamte Peer-Learning-Kreis profitiert von diesem positiven Kreislauf.
Wenige Monate nach Beginn der Pandemie, als eine weitgreifende Zoom-Müdigkeit sichtbar wurde, starteten wir die Pod-Plattform. Sie war zum Teil Technologie, zum Teil soziale Intelligenz und zum Teil Mitgefühl. Eine einzigartige Kombination. Der erste Pod war ein Laddership-Pod, mit 200 Leuten aus über 20 Ländern. Jeden Tag erhielten die Teilnehmer Texte, Praxisaufgaben und wurden angehalten darüber online zu reflektieren (nach dem Head, Heart, Hands Prinzip). Die Leute teilten in kurzer Zeit hunderte von Seiten. Sie interagierten mit den Inhalten der anderen. 10-20 Voluntäre hielten unsichtbar den Raum für diesen Pod und spiegelten auf unzählige verschiedene Arten das Ganze für sich selbst. Das führte zu tiefgreifenden Verbindungen, nicht nur mit anderen, sondern auch mit uns selbst.
In so einem Feld des Vertrauens kann Transformation entstehen. Und diese Transformation führt wiederum zu Dankbarkeit, die regenerativ ist und den ganzen Zyklus vorantreibt.
Kurz nachdem dem ersten Laddership Pod kamen auch andere Themen.
Nipun Mehta: Es war überwältigend, dutzende von Leuten aus jedem Pod wollten sich für einen zukünftigen Pod zur Verfügung stellen. So ging der Rhythmus weiter. Nach dem ersten Laddership-Pod veranstalteten wir Pods für Business über Qigong bis hin zu Education und dutzenden anderen Themen. Die Leute waren hungrig danach, wir hatten eine Gemeinschaft von Ladders, die sich auf diese Weise austauschen wollten, und wir hatten die Plattform. Dadurch ergaben sich ganz andere Möglichkeiten.
Zum Beispiel wurde ich eingeladen, zu einer Gruppe von Ältesten des jüdischen Glaubens zu sprechen. Ich halte viele Vorträge, dieser hätte ein weiterer sein können; aber am Ende bot ich an, wenn jemand sich weiter engagieren wollte, eine 21-tägige „Story-Challenge” zu veranstalten. Viele Leute meldeten sich an und tauschten nicht nur persönliche Geschichten aus, sondern durch das Lesen der Geschichten anderer kam es zu einer kollektiven Erfahrung. Dankbarkeit floss in Hülle und Fülle. Ich erinnere mich, dass eine Frau beim Abschlussgespräch erzählte, dass sie die letzte verbliebene Person auf beiden Seiten ihrer Familie wäre und nie dachte, sie hätte eine Geschichte zu erzählen, bis sie anfing zu schreiben. Der lineare Akt des Schreibens Tag für Tag und auch die Antworten der anderen zu lesen, hat ihr unglaubliches Leben eingehaucht. Sie erzählte dies mit Tränen in den Augen. Dieser Pod multiplizierte sich zu einem weiteren Pod, mehr Voluntären und mehr Wellen. Das geht bis heute so weiter.
Rückblickend betrachtet, hätte ich einfach meinen Vortrag halten können. Aber so hatte ich die Möglichkeit, die Inhalte mit einem tieferen Kontext zu verbinden. Eigentlich könnte ich sagen, dass auf diese Weise Tausende von Menschen an diesen Pods teilgenommen haben – aber das wäre nur die oberflächliche Ansicht und im Broadcasting- oder Scaling Kontext gedacht. Wenn aber eins und eins in einem Deepcasting-Kontext zusammenkommt, werden es mehr als zwei. Stell dir vor, wir alle würden so ein Deepcasting-Potenzial neben all unseren Broadcasting-Möglichkeiten freisetzen.
Die Volunteers bei ServiceSpace sind erstaunlich. Ich war selbst mehrmals als Volunteer tätig und habe außergewöhnliche Menschen kennengelernt, von Alltagshelden bis zu CEOs von Unternehmen, weltberühmten Künstlern, Thoughtleaders, Bestsellerautoren und Philosophen. Was ist das Geheimnis, um herausragende Menschen für Voluntärstätigkeit zu gewinnen?
Nipun Mehta: Es ist eine sehr einfache und sehr offensichtliche Antwort. Wir können nur nicht glauben, dass es so einfach ist. Das Prinzip ist, dass jeder Liebe praktizieren möchte. Und mit Liebe meine ich nicht irgendeine abgefahrene Idee.
Jeder möchte bedingungslos geben.
In den meisten Organisationen ist die ehrenamtliche Tätigkeit nur ein Mittel zum Zweck. Man spendet Zeit und Skills für ein bestimmtes Ergebnis. Dieser Beitrag ist das Mittel um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Bei ServiceSpace ist das nicht der Fall. Natürlich wird es ein Ergebnis geben – aber das ist der Nebeneffekt. Das Mittel ist der Zweck an sich. Die Tatsache, dass man sich im Voluntariat engagiert und sich vom “Ich” zum “Wir” bewegt, ist an sich schon ein großer Beitrag für die Gesellschaft. Wenn man diesen Prozess des freiwilligen Engagements sorgfältig pflegt, kümmert man sich um die Herzen der Menschen. Und wenn man sich um die Herzen der Menschen kümmert, will jeder kommen, weil jeder diese Verbindung mit sich selbst haben will.
Ja, es ist stimmt, wir haben bemerkenswerte Menschen, die bei ServiceSpace arbeiten. Einige der berühmtesten Menschen auf dem Planeten, ein paar der mächtigsten und der reichsten Menschen. Sie alle melden sich freiwillig, und zwar genauso wie alle anderen. Es sind nicht nur die, die eine gute Schlagzeile machen. Aus der Sicht von ServiceSpace macht das Geld, die Macht oder der Ruhm eines Volunteers keinen großen Unterschied, da wir nicht um diese Ressourcen herum organisiert sind. Ich habe ein paar Volunteers jahrelang gekannt, und erst später gemerkt, dass sie in der traditionellen Welt großen Einfluss hatten. So wie unser Ökosystem aufgebaut ist, ist ein Alltagsheld genauso potent wie ein Milliardär oder jemand Prominentes. Und weißt du, was das Schräge ist? Selbst die bemerkenswertesten Menschen vermissen es, als alltägliche Person gesehen zu werden. Wir denken, dass das Aufblasen unseres Egos uns stärker macht, aber in Wirklichkeit ist es lähmend.
Jeder will lieben und geliebt werden. Aber, wir wollen für das geliebt werden, was wir sind, nicht für das, was wir angehäuft haben.
Es ist so kraftvoll und so simpel. Wir alle kennen es. Das kann passieren, wenn wir manchmal einem Fremden begegnen und zu Tränen gerührt sind, oder wenn wir nur zusehen, wie jemand selbstlos für einen Dritten handelt und dadurch eine Gänsehaut bekommen. Wir erkennen diese Verbundenheit intrinsisch. Und doch ist es schockierend, wie wenige Räume uns erlauben, das zu kultivieren. ServiceSpace ist ein unapologetisches Ökosystem für genau das – kleine selbstlose Taten, die einen selbst verändern, die Verbindung zum Leben zu vertiefen und auf den Ripple-Effekt vertrauen. Einfach nur zu versuchen, die Welt zu verändern, ohne sich um unser Innenleben zu kümmern, führt nur zu Burn-out. Aber wenn wir mit innerer Transformation beginnen, breitet sie sich mühelos in der Außenwirkung aus. Deshalb lautet unsere Tagline: Change Yourself, Change the World. Nicht andersherum.
Das haben wir bei einer unserer ersten Erfahrungen gelernt, als wir Mittagessen an Obdachlose verteilten: Wir dachten, wir würden anderen helfen, merkten aber dabei, dass auch uns geholfen wurde. Wir benannten unser Projekt von “Helft den Obdachlosen” in “Hört den Obdachlosen zu” um. Anstatt Sandwiches zu verteilen, teilten wir eine Mahlzeit mit ihnen. Wenn wir wirklich aufpassen, ist das die gleiche Erfahrung, die alle Voluntäre immer wieder machen: Die Grenzen zwischen Geber und Empfänger verschwimmen. Ich gebe vielleicht Lebensmittelkapital, aber ich empfange auch andere Formen von Reichtum, wie Verbindung oder Vertrauen oder Geschichten oder Dankbarkeit.
Es ist einfach unmöglich, zu geben, ohne zu empfangen. Wenn eine Gruppe von Menschen mit dieser Einstellung einen Raum betritt, eröffnet sich eine völlig neue Welt der Möglichkeiten. Diese Erfahrung haben wir in den letzten zwanzig Jahren gemacht.
About:
Nipun Mehta ist der Gründer von ServiceSpace, einem Inkubator von Projekten, der an der Schnittstelle von Voluntariat, Technologie und Geschenkökonomie arbeitet. Was als Experiment mit vier Freunden im Silicon Valley begann, ist mittlerweile zu einem globalen Ökosystem mit über 600.000 Mitgliedern angewachsen, das Millionen von Dollar an kostenlosen Dienstleistungen erbracht hat. Nipun erhielt manigfaltige Auszeichnungen, darunter den Jefferson Award for Public Service, den Wavy Gravy’s Humanitarian Award und den Preis des Unsung Hero of Compassion des Dalai Lama. Im Jahr 2015 wurde er von Präsident Barack Obama in einen Rat für Poverty and Inequality berufen. Nipun wird regelmäßig eingeladen, um über “Giftivism” zu sprechen, von innerstädtischen Jugendlichen in Memphis über Akademiker in London bis hin zu internationalen Würdenträgern bei den Vereinten Nationen; seine Rede bei der Abschlussfeier der UPenn im Mai 2012 wurde von Millionen gelesen. Er ist Mitglied in den Beiräten der Seva Foundation, der Dalai Lama Foundation und des Greater Good Science Center.
Photocredit Manuel Gruber, manuelgruber.me