Selbstfahrende Autos werden die physische Bewegung verändern und die Grenzen für Menschen und Dinge (Internet of Things) grundlegend neu definieren. Viele glauben, dass man die bestehenden Strukturen mit den neuen Technologien optimieren kann, das ist ein gravierender Denkfehler. Unternehmen müssen nicht nur über ihre künftigen Geschäftsmodelle in den Value Ecosystems nachdenken, sondern auch ihre Autodynamik-Fähigkeit entwickeln, bevor es zu spät wird.
Lorenzo Tural stellt der Welt andere Fragen, hat andere Antworten und eine ganzheitliche, vernetzte Weltsicht. Auch dieses Interview ist nicht nach dem Frage/Antwort Muster entstanden, sondern in Form eines Dialoges und in Zusammenarbeit.
Danke Harald Katzenschläger und Hermann Gams von der DreamAcademia für die Verbindung.

Interview von Julia Weinzettl

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Welcher Innovationsbereich ist im Moment für Dich der spannendste bzw. von welchen technologischen Verknüpfungen erwartest Du Dir die größte Veränderung?

Lorenzo Tural: Die Gestaltung der Digital Business Value Ecosystems und die dafür erforderlichen Autodynamikkompetenzen halte ich aus unternehmerischer Sicht für die größte Veränderung.
Die Gesellschaft, Wirtschaft, Märkte transformieren sich derzeit rasant.
Die Grenzen der Märkte, Unternehmen, Services, Produkte, Arbeit, vor allem der Unternehmenserlöse verschwimmen, lösen sich auf, werden transparent. Diese Entwicklung mit digitaler Transformation oder Digitalisierung zu beschreiben, greift zu kurz.

Noch werden die Diskussionen je nach dem Kompetenzschwerpunkt der Diskutanten technologiebezogen über einzelne Themen wie Internet of Things, Bots, Cognitive Computing, Künstliche Intelligenz, Robotics, Machine Learning, Deep Learning, Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR) etc. geführt.

Dabei wird versucht die Vergangenheit mit den Möglichkeiten der technologischen Entwicklungen in die Zukunft zu transportieren. Viele glauben, dass man die bestehenden Strukturen mit den neuen Technologien optimieren kann und gut ist es. Dann ist alles smarter. Das ist ein gravierender Denkfehler.

Kannst Du ein Beispiel anführen?

Lorenzo Tural: Ich möchte Elektroautos detaillierter veranschaulichen:

  • Verbrennungsmotoren (Benzin&Diesel)
  • Turbolader
  • Abgasanlage
  • Technik zur Emissionsreduktion
  • Tank und Treibstoffsystem
  • Getriebe und Kupplung
  • Einspritzsystem
  • Starter und Lichtmaschine

sind für die Elektroautos nicht erforderlich. Alles, was man zur weiteren Optimierung dieser Komponenten nutzt, gehört zur Kategorie Brückentechnologien. Die andere Brückenseite ist schon in Sichtweite.

In diesem Zusammenhang stelle ich mir zuerst die Frage: ‘welche Auswirkungen wird es auf die Gesellschaft, Wirtschaft, Bildung und auf Unternehmen haben, wenn Benzin- und Dieselmotoren nicht mehr produziert werden?’

Kompetenzen und Berufe:

Was werden die Experten, die in den Themenfeldern Benziner&Diesel kompetent sind und ihr Geld verdienen, künftig machen?
Wo werden die Schüler und Studenten, die heute für diese Themenfelder ausgebildet werden, Jobs finden?

Fabrik-Strukturen:

Was wird aus den Fabriken (BMW, VW, Daimler u.a.) und ihren Zulieferern, die diese Teile produzieren?

Volkswirtschaft:

Wie wird sich die Volkswirtschaft verändern, wenn BMW, Daimler, VW und andere europäische Hersteller Batterien von LG, Samsung und Panasonic einsetzen?

Die Elektroautos stellen dabei nur einen Streckenabschnitt auf dem Weg zum selbstfahrenden Auto dar. Den Trend zum selbstfahrenden Auto sehe ich als bereits unumkehrbar.
Irgendwann werden herkömmliche Autos aus den Innenstädten verbannt werden, weil sie zu gefährlich sind.
Irgendwann werden Autofahrer im heutigen Sinne dann überhaupt nur noch auf Nostalgieveranstaltungen ans Steuer dürfen.

Technologie hat es an sich, dass sie unumkehrbar ist und Verweigerer zu Außenseitern macht.

(An autonomous car (also known as a driverless car, self-driving car, robotic car) and unmanned ground vehicle is a vehicle that is capable of sensing its environment and navigating without human input.)

Wenn Sie jetzt denken, so schnell wird es nicht passieren, wäre ich vorsichtig: ‘Waymo will im Frühjahr 2018 in der US-Stadt Phoenix einen Fahrdienst mit selbstfahrenden Autos starten. Dazu baut die Schwesterfirma von Google ihre Flotte mit Tausenden Minivans des Chrysler-Konzerns aus.’

Bis die Autos ohne Lenkrad und Pedalen fahren, werden auf der Brücke Altes und Neues nebeneinander existieren. Die automobilen Ökosysteme werden sukzessive gestaltet, um den anderen Brückenkopf „Autonomous Cars“ gekonnt zu erreichen.
Unternehmen müssen nicht nur über ihre künftigen Geschäftsmodelle in den Value Ecosystems nachdenken, sondern auch ihre Autodynamik-Fähigkeit entwickeln, bevor es zu spät wird. Im Moment beobachte ich noch ein gemütliches Vorwärtsgehen in der Komfortzone.

Dich kennen wir als Impulsgeber für disruptive Innovationen. Warum disruptive Innovationen?

Lorenzo Tural: Schon als Grundschüler interessierte mich ‘Unbekanntes’ mehr als ‘Bekanntes’. Das Unbekannte machte mich stets neugierig. Auch heute sträube ich mich gegen das Auswendiglernen des Bekannten, ohne nach seinem Sinn zu fragen. Um mit Heinz von Foerster zu sprechen: ‘Meine Lehre, so möchte ich hinzufügen, dass man keine Lehre akzeptieren soll.’ Nein, er stiftet mich nicht zur Respektlosigkeit vor dem geschaffenen Wissen an, sondern er motiviert mich zum Hinterfragen.

Hinterfragen wir gemeinsam:

Selbstfahrende Autos werden die physische Bewegung verändern und die Grenzen für Menschen und Dinge (Internet of Things) grundlegend neu definieren.

Wie wird das auf unseren Alltag auswirken?

Wearables, Doctor Inside, DNA-Selbstreparatur, Transhumanismus, Cyborgs oder die Geruchskommunikation (Bsp. oNotes) werden die menschlichen Fähigkeiten erweitern.

Wie und wo können sie in Unternehmensprozessen angewendet werden?

Bio-Sensoren werden schon heute in manchen Ländern, z.B. Schweden, den USA, im Alltag eingesetzt.

Wie und wo können sie in der Medizin angewendet werden?
Könnten die Near-Field-Communication-Implantate die Kreditkarten ersetzen?
Was wären die Auswirkungen auf die Banken-Strukturen?

Allein das Thema Bio-Sensoren verbirgt eine geballte Ladung Disruptionspotential für fast alle Branchen.

Nach Schätzungen wird eine Person in 2025 am Tag fast 4.800 Kontakte mit einem Internet-of-Things-Gerät haben – praktisch eine Interaktion alle 18 Sekunden.

Wenn wir uns ins Jahr 2025 versetzen, müssen wir uns die Frage stellen: ‘Ob und wie könnten Bio-Sensoren den Menschen bei den 4.800 Kontakten per Tag das Leben erleichtern?’

Nun möchte ich Sie zu einem Spaziergang in Smart City Wien einladen, um drei aufeinanderfolgende Bahnbrüche zu besprechen.

Im heutigen Wien gibt es:

  • 153.000 Lichtpunkte, die an 3.400 Schaltstellen hängen,
  • 14.000 Ampelanlagen mit 14.000 Schaltkästen

Die Lichtpunkte und Ampelanlagen sollen nach dem Stadtentwicklungsplan STEP 2025 als Stromquelle für Elektroautos dienen. Die Stromquellen werden mittels App auffindbar und reservierbar sein. Der Strom wird über eine App bezahlt.
90% der Apps werden allerdings in kommenden Jahren durch alexa und co. disruptiert, das heißt, der/die Autobesitzer|in kann per Bot anstatt App informiert werden. Zur Abbuchung der Stromtankrechnung kann die Stadt Ihre Daten von seinem/ihrem Bio-Sensor ablesen. Im übertragenen Sinne geht die Stadt Wien künftig unter die Haut.

Derzeit wird an technologischen Blockchain-Lösungen gearbeitet, damit das Auto in Zukunft auch in Wien

  • sich den günstigsten Stromtarif vor dem Tanken selbst aushandeln,
  • sich selbst aufladen und
  • Zahlungstransaktion selbst veranlassen kann.

Wenn dieser dritte Bahn-Bruch eintritt, braucht man weder Bots noch Bio-Sensoren.

‘Ich weiß, dass ich unweiß’ – Kannst Du diesen Satz, den Du öfters verwendest, näher erklären?

Lorenzo Tural: Berücksichtigen wir die weiteren Akteure im mobilen Ökosystem und die exponentielle steigende Anzahl der vernetzten Dinge, können wir die Herausforderung mit der sokratischen Ignoranz ‘ich weiß, dass ich nichts weiß’ beschreiben.
Ich möchte damit nicht ausdrücken, dass ich keine Ahnung habe. Existiert das Wissen, kann ich recherchieren und mich schlau machen. Im Neuland Internet werden wir aber noch viele unentdeckte Facetten entdecken, für die noch kein Wissen existiert. Wir müssen vieles noch learning by doing erschließen, dafür neue Ideen finden und neues Wissen erzeugen. Das Verhältnis von Unwissen zu Wissen ist enorm groß.

Fokussiert sich der Ping Pong Thinking Prozess auf Unwissen? Soll dabei ‘nicht existierendes´ Wissen erzeugt werden?

Lorenzo Tural: Genauso ist es.

Existiert das Wissen, kann es transferiert werden. Was nicht existiert, kann nicht transferiert werden.
Für den Wissenstransfer gibt es erfolgreiche Vorgehensweisen wie Reverse Mentoring, Curated Learning, Agile Learning oder Frontalunterricht. Durch den technologischen Fortschritt werden sie immer mehr, z.B. Blended Learning.
Bei solchen Transfer-Vorgängen weiß der/die Lehrende etwas, das die Lernenden noch nicht wissen.

Was müssen wir aber tun, wenn das Wissen noch nicht existiert?

Wir müssen Erkenntnisse gewinnen, neue Ideen finden, Wissen erzeugen.
Bis 2020 werden ca. 22 Milliarden neue vernetzte Dinge zu den heute existierenden 28 Milliarden hinzukommen. Weltweit werden neue Digital Business Value Ecosystems entstehen, allerdings etliche der heute erfolgreichen Ökosysteme verschwinden. Unternehmen, die sich im Neuland der digitalen Ökosysteme zum gestaltenden Akteur entwickeln, werden Wertschöpfungs-Erfolge haben.

Wie könnten Unternehmen aber die für sie relevanten Dinge in der enorm großen Menge identifizieren oder selbst entwickeln, um die Wertschöpfungsökosysteme mitzugestalten?

Lorenzo Tural: Best Practices, Success Stories, Erfahrungsberichte stehen nicht zur Verfügung. Die neuen Geschäftsideen müssen Unternehmen selbst finden.

Wie sollen sich Unternehmen dafür organisieren?

Lorenzo Tural: Im organisationalen Zahnrad sollen Hierarchie, Projektorganisation und externe/interne Communities ineinandergreifen, wobei ich die Communities als Erkenntnisbrücken zwischen Outside und Inside sehe.
Die Frage „how to bring the outside into the company?” müssen sich Unternehmen tagtäglich stellen, um mit der Dynamik der digitalen Ökosysteme Schritt halten zu können. Unseren Kunden schlage ich zum Beispiel die Bildung von Internet Ureinwohner Communities vor, um ihre Neuland-Kompetenz und ihren inneren Antrieb in Gebrauch zu nehmen.

Frei nach Kafka: „Alles reden ist sinnlos, wenn die Umsetzung fehlt.“

www.lorenzotural.com

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Lorenzo Tural spricht am 1. März beim Yard Forum in Wien.

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About:
Lorenzo Tural wurde am 5.11.2001 in München geboren und besucht die elfte Klasse eines Gymnasiums. Seine Großeltern sind deutscher, kolumbianischer, niederländischer und türkischer Herkunft. Der Internet-Ureinwohner ist mit 16 Jahren bereits seit einigen Jahren als Unternehmer tätig. Unter dem Zweck eines Unternehmens versteht er Gewinn zu machen. Daher gründete er lorenzotural.com, ein Beratungsunternehmen im Bereich Leadership Development und Digital Business Ecosystems Management. Im Rahmen von Ping Pong Thinking Events sollen mit kreativen Methoden Problemlösungen für die Zukunft gefunden werden. Zusätzlich ist Lorenzo Tural Key Note Speaker für Business Innovation im deutschsprachigen Raum und Mentor für das Accelerator-Programm ‘Startup Autobahn’ der Daimler AG.