Sabrina Dick,
Personalleiterin Central & Eastern Europe, SAP

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‚Wir beschäftigen uns nicht mehr mit Mitarbeitern, sondern mit Menschen‘, sagt Sabrina Dick, Personalleiterin Central & Eastern Europe, SAP. Bei SAP ist es gelungen, mittels technischer Hilfsmittel den Menschen im Ganzen und nicht nur den Mitarbeiter im Unternehmensumfeld ins Zentrum zu stellen. Ähnlich wie im bei Customer Centricity hat man Employee Centricity angewendet und die Unternehmensreise der Mitarbeiter vom Bewerbungsprozess bis zum Ausscheiden aus dem Unternehmen neu überdacht. Die digitale Transformation ändert das Mindset und verschafft mehr Zeit für Interaktion zwischen Mitarbeiter und Manager.

Sabrina Dick spricht am 22.9.2021 am Corporate Culture Jam.
Im Sinne des Taskfarm Konzepts wurde sie von Helmut Blocher, Geschäftsführer Succus Gmbh, auf das Interview eingeladen.

Die Digitalisierung macht uns also menschlicher?

Sabrina Dick (lacht): Diese Feststellung löst im ersten Moment oft Empörung aus, denn das gängige Klischee ist ja, dass durch die Automatisierung auch der HR-Bereich immer unmenschlicher wird und wir uns noch mehr voneinander entfernen. Bei näherer Betrachtung sieht man allerdings, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Die Technologie hilft uns, viel mehr Zeit mit dem Menschen zu verbringen. Wir können mittels Digitalisierung Prozesse schneller, effizienter und effektiver gestalten, sodass Mitarbeiter und Manager sie besser und im Arbeitsalltag integriert ausführen können. Damit bleibt mehr freie Zeit, um sich mit der Entwicklung des Mitarbeiters zu beschäftigen. Mit dieser Änderung des Mindsets haben wir aus HR-Sicht im Zuge unserer digitalen Transformation einen riesigen anderen Schritt gemacht.

Wie seid ihr hier vorgegangen?         

Sabrina Dick: Wir haben die HR-Experten Brille abgesetzt, als wir die neuen Prozesse, die durch die Technologie möglich wurden, definierten. So konnten wir unser Portfolio in der strategischen HR-Betreuung, dem Zugang zu Entwicklungsmöglichkeiten und die Verantwortlichkeiten von Prozessen und von Personalmanagement nochmal auf ein nächstes Level heben. Gerade die Prozessverantwortung und das Personalmanagement wanderte in der Verantwortung wieder ganz klar zum Management. Zeitgleich wurden die auch die Mitarbeiter in die Verantwortung gezogen, Dinge einzufordern.

Ganz konkret haben wir uns tatsächlich die Brille der Mitarbeiter und der Manager aufgesetzt und überlegt, was denn für einen Mitarbeiter in jeglicher Station seines Lebenswegs bei uns im Unternehmen der angenehmste Prozess sein könnte. Angefangen bei der Bewerbung, über die Mitarbeiterentwicklung bis zum Ausscheiden des Mitarbeiters aus dem Unternehmen haben wir uns gefragt: ‚Was wünsche ich mir als Mitarbeiter? Wie möchte ich mit dem Unternehmen interagieren, wenn es um mich als Mitarbeiter geht? Was sind gewisse Momente, die wichtig sind?‘

Diese Prozesse definierten wir gemeinsam mit Mitarbeitern und überlegten, wie ein Mitarbeiter diese erleben möchte. Natürlich ließen wir in der Prozesskreation auch unsere HR-Expertise einfließen, dennoch handelten wir zum ersten Mal tatsächlich wirklich aus der Sicht der Mitarbeiter und Manager und nicht aus außer reiner HR-Experten Sicht.

Kannst Du ein Beispiel für eine Prozessänderung nennen?

Sabrina Dick: Ein großes Thema ist das Onboarding. Dieser Prozess beginnt, wenn ein Mitarbeiter den Vertrag unterschrieben hat und ab einem bestimmten Zeitpunkt anfangt bei uns zu arbeiten. Diese Phase mussten wir gerade letztes Jahr komplett neu gestalten, da aufgrund der Pandemie Offices in vielen Ländern geschlossen waren, wir aber weiterhin viele neue Mitarbeiter bei uns begrüßen durften. Durch die Schließung fiel der persönliche Touch in manchen Fällen komplett weg. Nach der Auswertung von Bewerber-Feedback und  Fragen wie beispielsweise was man sich für den ersten Tag wünscht, der ja doch viel Nervosität und viel Neues oftmals mit sich bringt, überlegten wir, wie wir diese Phase zu einem positiveren Erlebnis machen könnten. Konkret bedeutet das, dass der/die neue MitarbeiterIn kurz nach der Vertragsunterzeichnung Zugang Zugang zu SAP-internen Informationen und Kommunikationskanälen bekommt. Dort kann er/sie bereits ihr Equipment bestellen, bekommt die Kontaktdaten eines Buddies und kann in manchen Fällen auch schon mit dem Team in Kontakt treten oder Fragen stellen, die vorher auftauchen. Wichtig war uns, dass neue Mitarbeiter darauf vertrauen können, dass das Unternehmen auf ihre Ankunft vorbereitet ist und dass man beispielsweise nicht zwei Wochen warten muss, bis man sein Equipment erhält oder Zugang zu Systemen. In ganz harten Lockdown Zeiten verschickten wir das Equipment nach Hause und waren in rein digitalem Kontakt. Das ist nicht so wünschenswert, die Technologie ermöglichte es uns aber auch in widrigen Umständen neue Mitarbeiter willkommen zu heißen. Diesen neuen Prozess konnten wir global ausrollen.

Wie wurde die Umstellung der verschiedenen Prozesse aufgenommen? Gab es Stolpersteine?

Sabrina Dick: Wir sind ein großes Unternehmen mit vielen Prozessen. Obwohl wir das Feedback der Mitarbeiter und Manager aufgenommen und eingearbeitet hatten, ist in der Umsetzung Changemanagement immer notwendig. Wir haben beispielsweise unseren Feedbackprozess neugestaltet. Er ist komplett zur Führungskraft gewandert. HR stellt rein die technischen Voraussetzungen zu Verfügung. Das bedeutet, dass man nicht mehr einmal im Jahr ein Ziel vereinbart und am Ende des Jahres einen Aufsatz schreiben muss, sondern dass man fast ‚WhatsApp technisch‘ kurz Status Updates geben kann, wenn man mit dem Manager spricht. Diese Kommunikation geschieht rein zwischen Mitarbeiter und Manager. Wir haben keinen Zugriff darauf, die Ziele (auch Entwicklungsziele) werden von Mitarbeiter und Manager gemeinsam formuliert. HR sieht nur, dass Ziele definiert wurden. Diese Ziele kann der Mitarbeiter auch einfordern. Umgekehrt ist die Dokumentation ein Vorteil für den Manager, um zu sehen, ob alles geliefert wurde oder potenziell auch mal nicht geliefert wurde und nachgearbeitet werden muss. Dadurch, dass HR inhaltlich keine Verantwortung mehr trug, kam es zu einer Umgewöhnung. Plötzlich merkte man, dass die Dokumentation notwendig ist, da sonst die Handhabe fehlt, wenn es darum geht das Management davon überzeugen, dass der Mitarbeiter befördert werden soll. Umgekehrt hilft die Dokumentation auch, wenn man mit einem Mitarbeiter nicht ganz zufrieden ist. Es ist eine gute Chance Transparenz aufzuzeigen und dann aktiv an Verbesserung zu arbeiten. Die Verantwortung ist also wieder dahin zurückgekehrt, wo sie hingehört, aber vormals an HR abgegeben wurde, weil diese Kommunikation teilweise auch unangenehm ist. Die Veränderung hat ganz klar auch Reibung mit sich gebracht. Mittlerweile sind wir aber an einem guten Punkt.

Welche weiteren Veränderungen zum Menschlich sein hat es gegeben in der Interaktion zwischen Mitarbeiter und Manager?

Sabrina Dick: Covid war ein Kommunikations-Enabler, weil man zu den Mitarbeiter plötzlich keinen persönlichen Kontakt mehr hatte. Man musste geplant mit Mitarbeitern kommunizieren, weil man sie nicht mehr ‚auf dem Gang‘ gesehen hat. Durch das virtuelle Setting und die Time-Slots zur Abstimmung wurden die Prozesse nochmal verbessert, weil man sich ohnehin in diesem Setting befand.  Die Kommunikation wurde plötzlich fokussiert und persönlich. Dieses Menschlich werden hat sich nicht mehr nur auf den Mitarbeiter konzentriert, sondern auf den Menschen im Ganzen. Es geht nicht mehr nur darum, meine Mitarbeiter im Unternehmen zu unterstützen. Einen Entwicklungsplan für sie zu erstellen und sicherzustellen, dass sie sich im Team wohlfühlen und dass sie mit ihrer Workload gut klarkommen.

Es geht darum den Menschen ein Umfeld zu bieten, indem sie Arbeit und Leben gut vereinbaren können.

Was waren für Dich hier die wichtigsten Erfahrungen?

Sabrina Dick: Ich habe in den letzten Monaten sehr oft mit Mitarbeitern in meinem Team und anderen Mitarbeitern, die sich gemeldet haben, kommuniziert, die an die Grenzen der Belastung gekommen waren. Sie hatten das Gefühl nur zu arbeiten und von einem Meeting ins andere zu kommen, obwohl die Kinder z.B. auch Betreuung benötigten. Ich hörte Sätze wie: ‚Ich traue mich gar keine Pause zu machen‘, oder ‚Wenn ich Mittagspause mache, dann steht mein Laptop immer auf dem Tisch, weil ich kein Büro habe und eine kleine Wohnung, ich komme nicht mehr klar‘. Hier haben wir den Mitarbeitern Hilfestellungen gegeben und gemeinsam versucht, Leben und Arbeiten in Einklang zu bringen und Selbstvertrauen vermittelt. Es war wichtig Mitarbeiter zu unterstützen den Tag gut zu gestalten und vielleicht zu Mittag zwei Stunden mit den Kindern und ihren Schulaufgaben zu verbringen und manchmal abends die Zeit anzuhängen. Und das Vertrauen zu geben, dass die Arbeit getan wird.

Wie sieht die zukünftige Entwicklung in der Zusammenarbeit in den nächsten Jahren aus?

Sabrina Dick: Ich habe mich in den letzten 18 Monaten nicht mehr mit Mitarbeitern beschäftigt, sondern mit Menschen und weit darüber hinaus. Ich denke auch, dass das ist die Zukunft ist. Wir werden in einem hybriden Arbeitsumfeld bleiben.Bei uns im Unternehmen sind wir relativ weit fortgeschritten, weil Home-Office und Vertrauensarbeitszeit bei uns oftmals auch schon gelebt wurde und der Schritt dahin vielleicht ein bisschen kleiner war, und trotzdem konnten viele nicht mit der kompletten Verantwortung umgehen, ihren Tag selbst zu gestalten.
Ich setze mich dafür ein den Begriff ‘Work-Life-Balance’ durch ‘Work-Life-Fit’ zu ersetzen. Denn es wird immer Zeiten geben, in denen man mehr arbeiten muss, weil es eine Deadline oder ein Projektende gibt. In solchen Phasen ist die Balance gleich nicht mehr gegeben und man hat ein negatives Erlebnis. ‘Work-Life-Fit’ setzt diese Phasen voraus, impliziert aber gleichzeitig, dass es auch andere Phasen gibt.

sap.com

About:

Sabrina Dick ist Personalleiterin für den Bereich Central & Eastern Europe bei SAP. Zusammen mit ihrem Team ist sie verantwortlich für die HR Strategie und deren Umsetzung in 16 Ländern und für mehr als 6000 Mitarbeiter. Sie ist ein Teil des Management Teams für SAP Central & Eastern Europe.