Birgit Gebhardt/Trendforscherin

TF: Wo liegt der Hauptfokus in Deiner Forschung?

In der aktuellen Studie liegt mein Hauptfokus auf agiler Organisationsgestaltung. EIne Hilfestellung für Unternehmen, um im globalen Wettbewerb bestehen und die digitale Wertschöpfung optimal ausnutzen zu können.

TF: Ist hier ein Ansatzpunkt Open Innovation zuzulassen?

Das Ermöglichen und die Nutzung der Innovationskraft auf Seiten der Mitarbeiter ist hier ebenso ein Punkt wie, durch einen neue Art von intrinsischer Motivation mittels interdisziplinären Teams, Diversity zu zulassen. Dennoch sind die besten Vorgangsweisen wirkungslos, wenn sie in den bereits vorgegebenen Strukturen umgesetzt werden sollen.

TF: Gehst Du hier von einer echten Disruption der Unternehmensstrukturen aus?

Der Nährboden auf dem Innovation entstehen kann, ist eine genaue Reflektion des Kundenbedürfnisses und der zwischenmenschliche Austausch darüber. Das impliziert die Reibung unterschiedlicher Ideen und Perspektiven. Diese Möglichkeiten sind in den alten Unternehmensstrukturen, den Top-Down Hierarchien, in den Siloabteilungen und den abgeschotteten Profitcentern, die im Wettbewerb zueinander stehen, nicht möglich.

TF: Die Lösung heisst also Bottom-Up oder eine komplette Dezentralisierung der Unternehmensstrukturen?

Bottom-Up ist nicht gleich die beste Lösung, weil oft die Möglichkeiten fehlen, Initiativen Bottom-Up zweckmäßig zu gestalten und sinnvoll einzugliedern. Man muss hier einen Zwischenschritt machen. Denn der direkte Zugang zur Lösung ist aufgrund der 200 Jahre, in denen wir als Befehlsempfänger sozialisiert wurden, ad hoc gar nicht möglich. Wir haben in der Netzwerkökonomie das Netzwerk als Vorbild einer Struktur und eben kein Modell mehr, das vertikal strukturiert ist. Das Netzwerk bildet seine Struktur ja auch nur über diejenigen, die miteinander in Kontakt sind aus dieser Situation in Kollaboration treten. Diese Verbindungen sind lose und können mit Beendigung des Projektes auch wieder enden. Ein kompletter Strukturwandel ist auch aufgrund der Verantwortlichkeiten, die daran hängen, gar nicht so einfach. Im Idealfall befindet sich der Ausgangspunkt der Veränderung dort, wo man in seinen Befehlsketten und Hierarchien durch zu lange Entscheidungsprozesse aufgehalten wird und zu schwerfällig in der Umsetzung von Ideen ist. Im besten Fall sollten parallel kleine Sonderformen erprobt werden, d.h. die Organisation bleibt bestehen, aber es werden Freiräume darin geschaffen. Diese Freiräume können zeitlicher Art sein, die Raumgestaltung – , die Wahl des Arbeitsortes – betreffen und auch auf welche Art die Arbeit zu erledigen ist. Das bedeutet eine neue Definition von Projektarbeit und Projektmanagement. Eine Teamorganisation miteinander in der die Führungsperson weniger Kontrolle und Einfluss auf das Geschehen hat, sondern die Teams die Organisation untereinander ausmachen.

Den Mitarbeitern zu zeigen, dass es andere Orte, Plätze, Zeiten, Nischen und Möglichkeiten gibt, etwas auszuprobieren, ist der beste Weg diese Art des Arbeitens erfahrbar zu machen. So enststeht die Erkenntnis um die Verbesserung. Diese Möglichkeiten aufzuzeigen muss relativ sanft und auf freiwilliger Basis geschehen.

TF: Wie wird unser Arbeitsleben sich mittelfristig verändern?

Die Arbeitswelt wird eine ganz andere Wertschöpfung praktizieren. In der Digitalen Vernetzung – sobald ich ein Produkt ins Netz stelle – befinde ich mich im globalen Wettbewerb. Im digitalen Zeitalter ist nahezu alles messbar – die Wertschöpfung richtet sich am Kundenwunschaus und kehrt sich damit um. Das Selbstverständnis eines Unternehmens versus eines Konsumenten ändert sich bedeutend, weil hier einen stärkere Zusammmenarbeit stattfindet. Man sieht mittlerweile auch Unternehmen, die ein bestimmtes Produkt nur anbieten, wenn es von einer bestimmten Anzahl von Kunden tatsächlich gekauft wird. Ein Beispiel dafür ist die Fluggesellschaft KLM, die bestimmte Destinationen nur dann direkt anfliegt, wenn sich genügend Fluggäste gefunden haben.

Auf diese Art und Weise ändert sich unsere Vorstellung vom Wirtschaften und unsere Vorstellung davon, wo die Kompetenzen angesiedelt sind, nämlich vermehrt beim Konsumenten bzw. in einer Partnerschaft zwischen Unternehmen und Käufer.

Im Mitarbeiterverhältnis bedeutet das, dass sich die Mitarbeiter emanzipieren müssen und dass man die Loyalität, die man dem Arbeitgeber früher entgegengebracht hat, mittlerweile als win – win Situation sehen muss. Die Entwicklung geht zu einer Einstellung, die Freiberufler oder Experten haben.

Die Loyalität kommt dann nicht mehr über eine gefühlte Abhängigkeit, sondern über die Wertschätzung der Arbeitsleistung und dem Mehrwert im Sinne der beruflichen und persönlichen Weiterbildungsmöglichkeiten, die Unternehmen anbieten. Für Unternehmen wird daher das Thema Employerbranding ein wichtiger Faktor.

Durch die grössere Teameigenverantwortlichkeit wird das Arbeitsleben weniger bürokratisch und stärker inhaltsgetrieben.

TF: Weg von der Prozessorientierung hin zur Projektorientierung?

Ja, obwohl wir Projektarbeit und Projektmanagement noch erheblich zugunsten der Teamautonomie verbessern müssen. Derzeit läuft Projektarbeit leider als Mehrarbeit on top und ist von starker Führungskontrolle geprägt. So lassen sich keine neuen Freiräume erfahren. Zudem erfolgt es in den seltensten Fällen interdiszilinär und wird meistens auch gar nicht richtig dokumentiert. Tools wie die Nutzung von Online Collaboration Plattformen, bei denen Information bereitgestellt wird, um auch anderen die Möglichkeit zu geben, von diesen Ergebnissen zu lernen und auf diesem Wissen aufzubauen – werden noch stark vernachlässigt.

TF: Welche neuen Berufsbilder werden entstehen?

Wenn sich die Big Data Analytics als erfolgreich erweist und den Überblick über die  Kundenbedürfnisse und den Markt gewährleistet – was im globalen Wettbewerb zwangsläufig erfolgen müsste – dann haben wir die Situation, dass diese Algorithmen Arbeitsplätze ersetzen. D.h. Software, die verschiedene Zahlen, Daten und Fakten verknüpft und auf Echzeit abgleicht, kann auch Entscheidungen treffen. Entscheidungen, die z.B. früher der Einkauf getroffen hat. Wie bei der OTTO-Group, hier wird nur mehr ein Rahmenvertrag verhandelt. Danach verlaufen die restlichen Bestellprozesse vollkommen automatisch über eine Software. Diese Automatisierung bedeutet natürlich, dass Mitarbeiter frei werden. Und es ist dann die Frage, wie weit diese Mitarbeiter für andere Wissensarbeiter-Tätigkeiten tauglich sind, die nicht von Algorithmen ersetzt werden können. und rechtzeitig umschulen zu können.

TF:  Was ist Deine Vision?

Die Vision, die – realistisch betrachtet – nur für einen Teil der Gesellschaft gelten wird, führt den Wissenarbeiter in die nächste Entwicklungsstufe. Denn die Algorithmen zeigen auch, wie wenig sich die Menschen im Vergleich zu den Softwares weiter entwickelt haben. Die Vision ist, dass sich aufgrund der Erleichterung der Arbeitsprozesse, die durch die Auswertung und Vernüpfung von Daten entsteht, die Wissenarbeiter durch die Informationstransparenz einen besseren Überblick über ihr Wirken und dessen Konsequenzen erhalten. Damit kann jeder direkter am Unternehmenserfolg mitwirken und die Teams können mehr Verantwortung übernehmen. So werden Kapazitäten hinsichtlich Führungskontrolle frei und der Blick mehr auf die Entwicklung humaner Fähigkeiten zur Lösung komplexer Fragestellungen gelenkt (die von der Software nicht gelöst werden können). Das impliziert ein kreativeres, interdiszilinäreres Zusammenarbeiten in größeren Netzstrukturen. Führunsgtechnisch bedeutet dies eine individuellere Widmung und Wertschätzung der Mitarbeiter. Die Mitarbeiter müssen von den Führungsorganen und durch strukturelle Sonderformen erst ermutigt und befähigt werden, sich von der bisher fremdbestimmten Arbeitsweise zu lösen, um sich als Wissensarbeiter in einer neuen Arbeitskultur emanzipieren können.

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