Sisi Zheng,
Leiterin Fahrgastmarketing der Region Südost,
DB Regio AG, Leipzig

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Oft kritisiert: Schnelles Ausprobieren von Prototypen und die Einarbeitung von Customerfeedback ist durch die schwerfälligen Prozesse von Großkonzernen fast nicht möglich. Wie man die besten Learnings aus Asien gepaart mit der agilen Arbeitsweise der flinken Start-ups verbindet, verrät Sisi Zheng, Leiterin Fahrgastmarketing der Region Südost, DB Regio AG, Leipzig. Zur praktischen Anwendung hat man bei der Deutschen Bahn ein Innovations-Toolkit kreiert, damit werden Zeit und Kosten gespart und regionale Unterschiede einbezogen.

Im Sinne des Taskfarm Konzepts wurde Sisi Zheng von Helmut Blocher, Geschäftsführer Succus Gmbh, auf das Interview eingeladen. Sie spricht am 14./ 15. Oktober 2021 am Austrian Innovation Forum in Wien.

Durch deine persönliche Geschichte aber auch als Grundsatzinteresse am Innovieren hast du Learnings aus verschiedenen Welten zusammengefasst. Was sind die größten Unterschiede zwischen dem Innovationszugang von asiatischen Ländern und dem von mitteleuropäischen Unternehmen?

Sisi Zheng: Im Westen starten wir eigentlich immer mit dem Business Modell. Es werden mit XLS Sheets Modelle errechnet und PowerPoint Board Präsentationen gemacht, danach wird die Entscheidung gefällt, ob die vorgeschlagene Vorgangsweise sich für das Unternehmen rechnet. In China, aber auch in vielen anderen asiatischen Ländern, wird mit dem Kundenbedürfnis gestartet. In der Skalierungsphase wird das Marktverhalten stark beobachtet und in Kundenfeedbackloops der Rollout gestartet. Da kann es schon mal vorkommen, dass ein Feature vorgezogen wird, weil die Kundenwünsche sich in diese Richtung entwickelten. Das ist in unserem westlichen Verständnis und vor allem in großen Konzernstrukturen schwer möglich. Ein weiterer Punkt ist, dass in China beispielsweise Innovation immer mit IT-Infrastruktur verbunden ist.

Durch intensiven Austausch mit ehemaligen Chinesisch stämmigen Partnern aus China haben wir eine ganz interessante Formel diskutiert:

Digitalisierung = künstliche Intelligenz (KI) x 5G x Cloud x Faktor Mensch

Warum? Die Chinesen verbinden die Zukunft mit dem Stichwort künstliche Intelligenz. Durch künstliche Intelligenz ist es möglich mehrere und andere Algorithmen abzubilden. Weil eine gute KI aber auch einen hohen Datentransfer benötigt, wird auf 5G gesetzt und natürlich auf die Speichermöglichkeiten in der Cloud. Hier ist auch interessant zu verstehen, dass gängige Cloud Services wie AWS oder Azure von Microsoft oft gar nicht verwendet werden. Trotz der hohen Kosten werden oft eigene Cloud-Server erstellt und verwendet, denn man versteht die IT-Infrastruktur als Asset. Der letzte Faktor, die Menschen, haben auch ein anderes Verständnis ihrer Arbeit, weil die Konkurrenz einfach so groß ist. 1,5 Milliarden Menschen wurde von Geburt an eingebläut ‚wenn du es nicht tust, dann macht es jemand anderes.‘ Diese Einstellung spiegelt sich auch ganz deutlich in diesem typischen Fleiß bzw. Konkurrenzkampf wider. Ob die Vorgangsweisen Arbeitsschutztechnisch gut sind, ist natürlich eine andere Debatte. Ich versuche nur das Mindset zu verdeutlichen, viele der asiatischen Länder sind Schwellenländer, ihre Einstellung ist ganz klar: Es kann nur besser werden. Das bedeutet aber eben auch, es möchte niemand einfach nur den Status quo erhalten.

Wie vereint die Deutsche Bahn diese Insights aus beiden Welten?

Sisi Zheng: Ich denke, dass Großkonzerne durchaus in der Lage sind, Innovation zu betreiben. Die Kunst liegt darin zu entscheiden, an welchen Stellen es vorteilhaft ist agil zu agieren und an welchen Stellen es besser ist Prozesse einzuhalten. Denn die oft verteufelten Prozesse in Großkonzernen sorgen für Qualität und Stabilität. Das ist durchaus etwas, dass Start-ups in dieser professionellen Lieferung manchmal nicht so gut umsetzen können, wie Konzerne. Konzerne haben hier eigentlich einen großen Vorteil, wenn sie es schaffen beide Welten in der richtigen Balance zu halten.

Wie war eure Herangehensweise um eine solche Balance zu schaffen?

Sisi Zheng: Die erste Frage, die wir uns stellten, war: ‚Wie ist die Aufgabenteilung?‘. Welche Teile sind sinnvoller in der Zentrale aufgehoben und werden über den ganzen Konzern ausgerollt? Welche Aufgaben werden besser regional angepackt und mögliche Learnings weitergegeben?
Die zentralen Aufgaben, bei denen man das Potenzial für ganz Deutschland sieht, übernahm die Zentrale mit ihren Teams, immer im Austausch mit den Regionen. Aufgrund der unterschiedlichen Mentalitäten in unserem Land – unsere Kunden in Sachsen-Anhalt und Thüringen ticken zum Beispiel ganz anders als unsere bayrischen Kunden – ist es aber eben vorteilhaft, wesentlich schneller umzusetzen und kostengünstiger, wenn verschiedene Strategien zuerst in den Regionen ausprobiert werden. Im Austausch wird überlegt, ob gewisse Projekte oder Strategien für andere Regionen auch interessant sind. Durch diese Vorgangsweise ergibt sich ein ganz anderer Innovationsansatz. Die ‚Gießkanne‘ wird durch ein Baukastensystem ersetzt. Ich denke, mit dieser Strategie können Großkonzerne Innovation mit ihrer Infrastruktur und der Manpower ähnlich schnell vorantreiben wie ein Start-up. Oft gibt es den Vergleich Start-ups wären die Schnellboote und die Konzerne, die großen Tanker, kämen nicht von der Stelle. Ich glaube aber, wenn die Schnittstellen und die Aufgabenteilung klar sind, sind große Tanker zwar an bestimmten Stellen immer noch Tanker, doch sie können auch ganz schön Fahrt aufnehmen.

Kannst du ein Beispielprojekt beschreiben und wie ihr hier vorgegangen seid?

Sisi Zheng: Wir haben unterschiedliche Inkubatoren, wie z.b. die DB Mindbox. Letztes Jahr hat sich ByteBuzzer, ein Dresdner Start-up, über diesen Inkubator bei der DB beworben und kam unter die Finalisten. Im Zuge dieses Programms werden 25.000 Euro vergeben und das Start-up hat drei Monate Zeit, um direkt mit einer Geschäftsfeld-Einheit gewisse Dinge zu pilotieren. ByteBuzzer sind auf Kunden Feedback in Form von Umfragen spezialisiert. Diese Umfragen werden ganz simpel, ohne Registrierung und mittels Emojis abgewickelt. Der Prozess ist gelernt, da er ähnlich wie auf Social Media Plattformen funktioniert. Der Kunde könnte beispielsweise bei der Frage: ‚Wie fühlst du dich heute?‘ eines von drei Emojis interaktiv anklicken. Wir spielten diese Umfrage während 30 Tagen über unser WLAN-System aus. Normalerweise ist die Rücklaufquote von Kunden Umfragen eher träge, weil sie lange sind und die viele Kunden nicht in ihrem Interesse abholen. Aber mit diesem simplen Tool war das plötzlich ganz anders. Die Kunden haben sich für die spielerische Herangehensweise interessiert. Die Response war ausgesprochen gut, das konnten wir auch bei der Skalierung der Statistiken sehen und auf anonymisierte, statistisch relevante Modelle ableiten. Diese gute Response brachte uns auf die Idee unser Zug-Portal zu nutzen und weitere Marketingaktivitäten, wie beispielsweise das Austesten des Sujets einer Marketingkampagne mittels eines Gewinnspiels auszuprobieren. Wir haben auf diese Art die Möglichkeit den Markt viel direkter und spielerischer zu befragen ohne, dass der Kunde sich beispielsweise in eine Liste eintragen muss oder durch eine langwierige Registrierung geführt wird. Diese Erfahrungen gaben wir an die Zentrale weiter mit dem Effekt, dass der nächste Pilot nun bundesweit gestartet wird. So war es zum Beispiel möglich, dass der ‚große Tanker‘ ein Projekt mit einer Durchlaufzeit von weniger als einem Jahr implementieren konnte.

www.deutschebahn.com

About:

Geboren in Shanghai, aufgewachsen in Berlin, studierte Sisi Zheng Betriebswirtschaftslehre in Berlin, Bristol und Göttingen mit dem Schwerpunkt Marketing. Bereits während des Studiums machte sie sich als freiberufliche Unternehmensberaterin in der Biotech und pharmazeutischen Zulieferindustrie selbständig. Vor einigen Jahren setzte sie den Fokus ihrer Tätigkeit auf Innovationsentwicklung. Seitdem begleitet und berät Frau Zheng, als ausgebildete Wirtschaftsmediatorin, Scrum Master und d.school Absolventin im Design Thinking, Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen in der agilen Transformation und in der Umsetzung von Innovationsprojekten. Aktuell ist sie als Leiterin Fahrgastmarketing und Fahrgastkommunikation für die DB Regio AG in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen tätig. Zuvor war Sie für ein internationales Projekt bei der Deutschen Bahn AG und bei der DB Regio AG als Innovationsmanagerin zentralseitig unterwegs.