Dr. Kai Romhardt
Gründer des ‘Netzwerk Achtsame Wirtschaft’,
Autor, Coach, Unternehmensberater, Gastdozent und Meditationslehrer
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‘Am Geld klebt Faszination genauso wie Neid, Eifersucht und Wut.’, sagt Dr. Kai Romhardt, Gründer des Netzwerks achtsame Wirtschaft, ‘In unserer Gesellschaft wird das Besitzen von Dingen, die man mit Geld kaufen kann, als falsches Glücksversprechen verkauft.‘ ‘Warmes Geld‘ bezeichnet mit Werten aufgeladene, finanzielle Energie, die sich im achtsamen Umgang mit Finanzen und Investments niederschlägt. Die neue Wirtschaft, die so entsteht, ist unabhängig von jedem Preis – sie ist unbezahlbar.
Im Sinne des Taskfarm Konzepts wurde Dr. Kai Romhardt von Christoph Bründl, Geschäftsführer Bründl Sports, auf das Interview eingeladen.
Du gründetest vor 15 Jahren das Netzwerk Achtsame Wirtschaft. Für Menschen, die nach sinnvollen Alternativen zum heutigen Wirtschaftssystem suchen. Ein Terminus, der sich aus dieser Arbeit ergab, ist ‚Warmes Geld‘. Wie seid ihr dazu gekommen?
Dr. Kai Romhardt: Geld enthält eine starke Beziehungskomponente. Wie stehe ich in Beziehung zu dem Objekt, das ich kaufe oder der Person, der ich Geld gebe? Wie stehe ich zu dem Unternehmen, von dem ich eine Dienstleistung beziehe? In der Transaktion ist immer eine Beziehung versteckt.
Wir setzten uns mit den Mythen des Geldes auseinander und überlegten welche Glaubenssätze über Geld bestehen. Z.B. in der Frage: Wie viel brauche ich wirklich? Oder, wie viel brauche ich im Verhältnis zu jemand anderem? Dieses ‚genug haben‘ steht häufig in Relation zu anderen Personen. Oft folgt die Erkenntnis: Ich habe eigentlich genug. Mein wahres Problem ist, dass ich weniger habe als mein Bruder oder als meine Eltern oder weniger habe als meine Studienkollegen oder weniger bekomme als ein Kollege bei der Arbeit, den ich nicht mag. Daraus entsteht die Frage: Wie viel ist normal? Woher kommt mein Maßstab der Normalität im Verhältnis zu dem, was ich habe?
Interessant ist auch der Unterschied zwischen dem, was ich habe, und dem, was ich will. Der große Unterschied zwischen Mangel und Fülle. Wenn ich beispielsweise ein großes Haus, ein teures Auto und einen gutbezahlten Job habe, aber ich immer noch mehr will, lebe ich in einer Welt des Mangels. Oder wenn ich mich mit Menschen vergleiche, die mehr haben als ich, lebe ich in der Welt des Mangels. Wenn ich aber zum Beispiel in einer kleinen Wohnung zur Miete wohne und halbtags arbeite, dann habe ich eigentlich viel weniger als diese andere Person. Ich brauche aber nicht viel, das bedeutet, mein Wollen ist auch sehr gering. Ich brauche vielleicht die Freuden immaterieller Natur, geistige Zustände wie Zufriedenheit, Freude, Mitgefühl oder Wohlwollen, um wirklich glücklich zu sein. Bei dem einen ist das Haben groß, aber das Wollen noch größer und bei dem anderen ist das Haben klein, aber das Wollen ist noch kleiner. Trotz unterschiedlichem Einkommen lebt der eine im Mangel und der andere in der Fülle.
Im Sinn von arm aber glücklich?
Dr. Kai Romhardt: Möglich aber bestimmt nicht ausschließlich, der Schlüssel liegt tatsächlich im Wollen. Wir haben ein Glücksversprechen internalisiert, das von unserer Gesellschaft genährt wird. Es sagt: Je mehr wir haben, desto glücklicher sind wir. Dieses Glücksversprechen betrifft nicht nur das Finanzielle, sondern auch andere Bereiche wie Macht, Einfluss oder Bekanntheit. In der Erfahrung mit der Achtsamkeitspraxis merken wir, dass dieses Glücksversprechen einfach nicht stimmt und das verändert den Zustand zu Fülle und Mangel.
Du schreibst in deinem Buch, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema Geld ein Schlüsselpunkt ist und einer der größten Dämonen. Was meinst du damit?
Dr. Kai Romhardt: Ein Dämon ist etwas, das eine innere Kraft hat, das ich aber häufig nicht konfrontiere. Durch das Wegschauen bekommt es noch mehr Kraft. Im Themenfeld des Geldes liegen Emotionen, die wir nicht wahrhaben wollen. Vielleicht ist dort Neid oder Eifersucht. Möglicherweise schämen wir uns, weil wir weniger verdienen oder so wenig verdienen. Eventuell genieren wir uns, dass wir geerbt haben und viel mehr haben als andere. Oder wir schämen uns, dass unser Geld aus bestimmten Arbeiten kommt, die wir als minderwertig ansehen. Durch das Nicht-hinschauen nähren wir einen Dämon in uns und es ist unangenehm über Geld zu sprechen. In dem Moment, indem wir das Thema berühren, müssen wir uns eingestehen, dass da z.B. Scham oder Angst ist. Angst, das Geld wieder zu verlieren, Angst, Eigentum zu verlieren oder dass wir tatsächlich Verlangen oder Gier empfinden. Gefühle, die wir nicht wahrhaben wollen, weil sie gesellschaftlich nicht akzeptiert sind. Diese Verleugnung, die manchmal tief vergraben ist, löst unangenehme Gefühle aus. Die Achtsamkeitspraxis sagt: Mach dir nichts vor – schau es dir direkt an!
Den Dämon entdämonisieren, indem man ihn vor den Vorhang zieht.
Dr. Kai Romhardt: Genau. Im Buddhismus kennen wir Mara, eine Art Dämon. Es gibt eine berühmte Geschichte in der Buddha Besuch von Mara bekommt. Sein Adjutant will diesen Besuch nicht hereinlassen, doch der Buddha besteht darauf. Sie trinken Tee und sprechen in einem furchtlosen Gespräch des Verstehens miteinander. Das furchtlose Hinsehen hilft in der Auseinandersetzung mit unangenehmen Emotionen. Es zeigt, dass Geld nicht einfach das Werkzeug zum Kaufen und Bezahlen ist, sondern emotionsbehaftet.
Welche Erfahrungen hast du durch die Beschäftigung mit der Beziehungsebene von Geld gemacht?
Dr. Kai Romhardt: Als ich mein erstes Retreat organisierte, ein mehrtägiges Seminar zum Thema achtsamer Umgang mit Geld und Finanzen, meditierten wir über Geld. Wir legten Bargeld (einen 500-Euro-Schein, mehrere andere Scheine und Münzen) in die Mitte. Nacheinander durfte sich jeder etwas nehmen und vor sich legen. Dann ging es in die Stille mit der Aufgabe sich mit dem Geld und den Emotionen, die es auslöst, zu verbinden. Nach einer Gehmeditation durften diejenigen, die zuletzt von dem Geld genommen hatten, sich als Erster nochmal nehmen. Sie durften quasi demjenigen, der den 500-Euro-Schein hatte, das Geld wegnehmen und vor sich selbst legen. Darüber wurde wieder meditiert. Im Austausch danach war interessant, dass fast alle Teilnehmer von dieser Übung Kopfschmerzen bekommen hatten. Kopfschmerzen, Anspannung und Emotionen, die hochgestiegen waren, teilweise unverstanden. Und das richtig Interessante war, dass nach dieser Übung niemand mehr für den Rest des Retreats (er ging noch zwei Tage) über Geld gesprochen hat.
Das heißt, der Dämon war einmal aufgestiegen, hatte alle durchgeschüttelt, Kopfschmerzen und unangenehme Gefühle verursacht und war dann wieder verschwunden. Danach gab es eine kollektive unbewusste Entscheidung das Thema erstmal nicht mehr zu berühren.
Heute machen wir die Annäherung viel behutsamer.
Wie behandelt ihr das Thema heute?
Dr. Kai Romhardt: Wir veranstalteten beispielsweise ein mehrtägiges Retreat zum Thema ‚warmes Geld‘. Am dritten Tag teilten wir uns in Kleingruppen auf, zündeten Kerzen an und schafften eine intime Atmosphäre, wie eine Versammlung ums Lagerfeuer. Im Sharing kam die starke Sehnsucht nach ‚warmem Geld‘ heraus und auch viel Schmerz. Z.B., jemand unterstützte seine Kinder und merkte, dass der Prozess des Gebens immer mit Erwartung verbunden war. Sodass das Geld, das in die Ausbildung der Kinder floss kein warmes, freudvolles Geben, sondern eigentlich ein erwartungsvolles, kontrollierendes, mit Macht verbundenes Instrument war. Oder auch in der Position der Nehmenden, eine Person, die nicht für die finanzielle Unterstützung der Eltern dankbar sein konnte. Obwohl die Unterstützung frei gegeben wurde, verband sie das Empfangen mit starkem Druck besonders gute Noten in besonders kurzer Zeit zu erbringen. Diese Spannung rief Stress und Krankheit hervor. Das Hinsehen auf das Thema Geld bringt viele Herzensgeschichten ans Licht.
Kann es längerfristig eine andere Art der Wertschätzung und Wandlung in ‚warmes Geld‘ geben, die sich durchsetzt?
Dr. Kai Romhardt: Der achtsame Umgang mit Geld und Finanzen ist ein kollektiver Lernprozess, der überall stattfinden darf. In der Politik, in Unternehmen, in den Sozialämtern, im Alltag, in den Familien, in einer Begegnung mit einem Obdachlosen. Wichtig ist diese häufig unbewusste Dimension zu erkennen. Zu sehen, wie oft unsere Gedanken während des Tages um Geld streifen. Die kleinen Irritationen anzuerkennen und zu verstehen. Im Buddhismus heißt es: Schaue dir deine Probleme an. Versuche herauszufinden, warum du zum Beispiel Angst vor Armut hast, obwohl du im Wohlstand lebst. Nur wenn du diese Angst tiefer verstehst, dann wird sie dich nicht beherrschen, dir Freiheitsgrade nehmen und dich daran hindern wirklich sinnvolle Dinge zu tun. Viele Menschen sind in Jobs gefangen, die sie nicht für sinnvoll halten. Sie trauen sich nicht das zu ändern, weil sie Angst haben, dass sie sonst finanziell ins Bodenlose fallen. Sie schnüren sich ihre Lebensenergie ab, weil sie glauben, das gegenüber ihren Familien und ihrem Umfeld eben nicht vertreten zu können.
Du bittest als Buddhist für deine Dienste um Dana. Das bedeutet man bezahlt keine fixe Summe, sondern kann selbst bestimmen, wie viel Geld man dir gibt. Diese Art der Bezahlung kennt man auch als ‚Karma Preis‘ oder ‚pay-as-you-wish‘. Wie war der Anfang dieser Umstellung als Familie?
Dr. Kai Romhardt: Anfangs boten wir Retreats an und gaben keinen fixen Preis an. Am Ende der Veranstaltung erklärten wir den Teilnehmern, dass wir für unseren Lebenserwerb finanzielle Energie benötigen. Wir nannten aber keine Summe. Viele Leute waren anfangs erstmal überfordert. Das Konzept war so neu, dass viele nicht wussten, wie sie sich orientieren sollten. Wir verstanden das Angebot den Preis selbst zu wählen als Übungsaufgabe und Herausforderung an die Gebenden. Nämlich zu entscheiden, ob man z.B. dem Geiz nachgibt, dann war der Retreat schön billig oder fast umsonst. Oder zu Entscheiden der Großzügigkeit Raum zu geben. Zu hinterfragen ist es eine Großzügigkeit oder will ich damit imponieren, dass ich jetzt ganz besonders viel gebe, obwohl man das Dana anonym in Umschlägen abgegeben hatte.
Was waren da eure Erfahrungen?
Dr. Kai Romhardt: Ganz gemischt, wir haben natürlich viel gelernt. Wir hatten 3-tägige Veranstaltungen, bei denen wir am Ende feststellten, dass wir davon noch nicht mal eine Woche unsere Miete bezahlen konnten. Und wir hatten extrem großzügige Erfahrungen, die ganz überwältigend waren. Nicht selten ist der Unterschied zwischen demjenigen, der am wenigsten gibt und dem, der am meisten gibt, enorm – das kann bis zum Faktor 30 oder 50 gehen. Diese großen Unterschiede bilden die diverse Zusammensetzung der Gruppen ab. Ohne das Dana-Prinzip hätten wir diese Diversität wahrscheinlich gar nicht. Denn das Prinzip des starren Preises schließt immer jemanden aus. Durch einen Fixpreis wird einerseits die Möglichkeit verwehrt Großzügigkeit zu zeigen, andererseits kann jemand, der nicht so viel hat, nicht teilnehmen.
Wie gehen die Leute bei der ‚Berechnung‘ von Dana vor?
Dr. Kai Romhardt (lächelt): Ganz unterschiedlich. Der Eine fängt sofort mit der Kategorisierung an: ‚Bezahle ich den jetzt wie meinen Psychotherapeuten oder einen Unternehmensberater? Oder ist er doch eher in der Kategorie eines Angestellten oder einer Haushaltshilfe?‘. Manche orientieren sich an den Anderen um zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Dritte dividieren durch die Anzahl der Teilnehmer und überlegen sich dann einen Betrag, den sie für angemessen halten.
Du wirst häufig von Unternehmen beauftragt. Wie bittet man bei Unternehmen um Dana?
Dr. Kai Romhardt: Im Zusammenhang mit Unternehmen und Organisationen war die Irritation am größten. Mit dem Fehlen eines festen Tagessatzes konnten die meisten überhaupt nicht umgehen. Das hat strukturelle Gründe wie Budgetfreigaben oder Entscheidungsunsicherheit. Deswegen habe ich die völlig freie Preisgestaltung bei Unternehmen auch gelassen. Ich gebe ein ‚von/bis‘ Spektrum an und lade das Gegenüber ein, sich selber zu positionieren. Oder ich biete hybride Bezahlmöglichkeiten an. Bei Vorkosten durch Raummiete oder Anreise gibt es einen Kostendeckungsbetrag und danach die Möglichkeit Dana zu geben.
Wie sieht die Zukunft des Geldes aus?
Dr. Kai Romhardt: Das Besondere an Geld ist, dass es ein universeller Formwandler ist. Es kann zum Kauf verwendet werden oder um Leute anzustellen, die Aufgaben erledigen. Es kann auch in Macht und Einfluss gewandelt werden. Wichtig ist sich kollektiv bewusst zu werden, dass jeder Euro auch eine Entscheidung ist, wo diese Energie hingelenkt wird. Diese Entscheidung ist einkommensunabhängig. Man kann als Einzelperson oder als Gruppe, als Unternehmer oder Politiker entscheiden wie kaltes Geld in Warmes verwandelt wird. Jede dieser Entscheidungen stärkt die achtsame Wirtschaft und bringt heilsame Samen in die Welt.
Netzwerk Achtsame Wirtschaft
www.romhardt.de
About:
Dr. Kai Romhardt ist Gründer des ‘Netzwerk Achtsame Wirtschaft e.V,’ und buddhistischer Dharmalehrer in der Linie von Thich Nhat Hanh. Er lebte zwei Jahre lang in Plum Village, wo er Mitglied des Ordens Intersein (Order of Interbeing) wurde. Heute arbeitet er als Coach, Unternehmensberater, Gastdozent und Meditationslehrer. Er studierte an der Universität St. Gallen “Management und Organisation” und promovierte am Lehrstuhl für Management und Organisation der Universität Genf (Prof. Dr. Gilbert Probst) zum Wissensmanagement . Er ist preisgekrönter Autor von 7 Büchern, darunter “Slow Down Your Life” und “Wir sind die Wirtschaft”.